Innenpolitik

Ein Aktionstag gegen den Aktionismus. Jetzt!

Am 14. März ist Weltstaudammtag. Sollten Sie jetzt intuitiv nicht wissen, was Sie dabei empfinden sollen, helfe ich Ihnen gern: Sie sind natürlich gegen Staudämme! Gemeinsam empören wir uns darüber, dass die Ströme dieser Welt in die ewigen Mühlräder des Kapitalismus gezwängt werden. So wie wir alle.

Wie? Sie sind gar nicht empört? Na, das geht aber nicht. Wir müssen das durchziehen, denn am 15. März ist ja schon Weltverbrauchertag und gleichzeitig der internationale Tag gegen Polizeigewalt. Da wollen wir doch ausgeruht sein. Dass Ihnen noch der Tag gegen Internetzensur vom 12. März in den Knochen hängt, gilt nicht als Ausrede.

Das Empörungskarussell dreht sich an 365 Tagen im Jahr. Unerbittlich folgt Aktionstag auf Aktionstag. Wie Peitschenhiebe sausen sie herab auf eine verunsicherte und in Selbsthass badende Gesellschaft. Sie belehren, klagen an, richten, zermürben, zeichnen die Welt in den dunkelsten Farben, auch wenn es noch nie so vielen Menschen so gut ging wie heute. Lobbyverbände und Nichtregierungsorganisationen auf der ganzen Welt schrauben rund um die Uhr an Kommunikationsstrategien, um ihre Botschaften mithilfe künstlicher Aktionstage zu verstärken. Wenn es noch keinen gibt, dann wird eben einer erfunden.

Manche der Aktionstage haben natürlich ernste Anliegen. Der Tag der seltenen Krankheiten weist zum Beispiel alle vier Jahre, am 29. Februar, auf Leiden hin, die sich lindern ließen, sich aber wegen ihrer geringen Fallzahlen einer betriebswirtschaftlichen Logik entziehen. Andere Aktionstage sind dagegen eher Klamauk, wie zum Beispiel der Tag zur Ehrung der Zahl Pi, der traditionell mit viel Kuchen begangen wird und der übrigens auch am 14. März ist. Doch viele sind regelrechte Kampftage. Und da ist es natürlich praktisch, wenn man gleich zweimal pro Jahr mobilisieren kann: Die Equal Pay Days legen nahe, dass Frauen wahlweise von Neujahr bis Februar oder von November bis Silvester gratis arbeiten würden. Spart Kosten, wenn man die OTS vom Frühjahr einfach noch einmal nehmen kann. Ändern tut sich eh nie etwas; das ist ja gerade die Botschaft.

Und da sind wir auch schon beim Grundproblem der Aktionstage: Sie können nicht mehr sein als eine Plattform für – der Name sagt es ja schon – Aktionismus. Selbst Expertinnen und Experten, die sich das ganze Jahr über mit einer Materie beschäftigen, müssen 24 Stunden lang gegen allen möglichen Unsinn anschreien. Um zu bestehen, muss auch ihre Message so dermaßen angespitzt sein, dass sie selbst kaum mehr als Unsinn sein kann. Um konkrete Lösungsansätze geht es nie. Daran hat die Empörungsindustrie gar kein Interesse, und im engen Kalender bliebe auch keine Zeit dafür. Denn am nächsten Tag wird der Zirkus ja schon weitergezogen sein und sich in der Klage über andere Missstände suhlen.

Mein schändliches Verhalten an den restlichen 364 Tagen des Jahres kompensiere ich, indem ich heute mit dem Finger auf andere zeige.

Es bleibt nur Zeit für ein bisschen „virtue signalling“. Und danach gibt es offenbar eine große Nachfrage. Bitte nehmt mich als guten Menschen wahr! Ich kaufe zwar billige Mode fragwürdiger Herkunft, aber ich bin natürlich entschieden gegen Kinderarbeit. Als Mann gehe ich nicht in Väterkarenz, aber ich bin natürlich der erste Aktivist für die Gleichstellung von Mann und Frau. Ich fliege zweimal im Jahr nach Bali, aber ich bin voll dafür, dass sich die anderen endlich ums Klima kümmern. Und gegen Staudämme bin ich eh. Ich recke die Faust am jeweiligen Aktionstag, aber weder will ich mehr über das betreffende Thema erfahren, noch will ich wirklich etwas tun müssen. Mein schändliches Verhalten an den restlichen 364 Tagen des Jahres kompensiere ich, indem ich heute mit dem Finger auf andere zeige. Eine starke Meinung entbindet mich von der Tat. Wie sagte noch die große Philosophin Jane Fonda: „Nothing is more important than raising awareness, right?“

Auch wenn sie so daherkommen: Viele Aktionstage sind weder wissenschaftlich fundiert noch sonderlich progressiv. Ein Beispiel: Pünktlich zum Weltfrauentag präsentierte das Wifo eine Studie zur Lohnlücke zwischen Mann und Frau. Sie kam zu den üblichen Ergebnissen: Ein großer Teil der Lücke ist erklärbar. Die Hebel, an denen man ziehen muss, um die Lohnlücke weiter zu verringern, sind identifiziert: Berufswahl, Kinderbetreuung, Karenzregeln und so weiter. Der unerklärbare Teil der Lohnlücke ist dagegen klein und schrumpft sogar weiter. Sie haben von der Studie nichts mitbekommen? Na, so ein Zufall. Die Sendezeit wurde von den Feindinnen und Feinden der Aufklärung blockiert, die sich ganz offen dagegen aussprechen, die Lohnlücke überhaupt noch wissenschaftlich zu untersuchen, weil man sie damit ja nur kleiner wirken lassen wolle. Stattdessen führen sie die ganz großen Begriffe im Munde: Gesellschaft. Patriarchat. Danke für nichts.

Ein Aktionstag gegen den Aktionismus wird nicht reichen. Jeder Tag muss ein Aktionstag gegen den Aktionismus sein. Der Schlachtruf der Anti-Aktivismus-Aktivistinnen und -Aktivisten muss lauten: „Nein, ich empöre mich heute nicht über eine Sache, über die ich zu wenig weiß, nur weil es im Kalender steht. Ich würde aber bei Gelegenheit gerne mehr über die Sache erfahren.“

Gastkommentar von Jan Kluge in “Der Standard” (14.03.2024)

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