Der IWF legt ein umfassendes Geständnis ab: Sparprogramme sind doch nicht so gut wie gedacht. Für einige erfolgreich sanierte Länder kommt diese Erkenntnis zu spät.
Schuld an der wachsenden Ungleichheit sind Sparprogramme in öffentlichen Haushalten und liberalisierte Finanzmärkte. Das behaupten nicht nur jene, die den Untergang der sozialistischen Volkswirtschaften für einen folgenschweren Irrtum der Geschichte halten, seit vergangener Woche sagt das auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Das ist ungefähr so, als hätte Fidel Castro gerade seinem Volk eröffnet, dass die kubanische Wirtschaftspolitik womöglich doch die eine oder andere Schwachstelle aufzuweisen habe. In den sozialen Medien brandete Jubel auf, für die Mehrheit der politisch Interessierten ist der IWF so etwas wie die rechte Hand des neoliberalen Teufels.
Zwar betonen die IWF-Experten, dass eine solide Haushaltsführung kein Fehler sei. Aber Politiker und Institutionen dürften sich nicht vom Glauben lenken lassen, „sie sollten geleitet werden von Nachweisen, was wirklich funktioniert“. Gekürzte Staatsausgaben zählen nicht dazu, sie schwächten das langfristige Wachstum und erhöhten die Ungleichheit.
Für Irland kommt diese Erkenntnis leider zu spät. Das Land hat in den vergangenen fünf Jahren seine Staatsausgaben um 33 Prozent (!) zurückgefahren und befindet sich seit 2014 wieder auf einem steilen Wachstumskurs – ohne dass sich die Ungleichheit erhöht hätte. An dieser Stelle kommt gern der Einwand, dass es ja keine Kunst sei, von einem derart niedrigen Niveau aus wieder kräftig zu wachsen.
Niedriges Niveau? Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung Irlands lag in jedem einzelnen dieser Austeritätsjahre über jener Österreichs. Also jenem Land, das nach Ausbruch der Krise die Staatsausgaben weiter erhöht und den Sozialstaat mit der Mindestsicherung ausgebaut hat. Während Irland im Vorjahr mit 6,9Prozent Wirtschaftswachstum an der Spitze aller EU-Länder stand, fand sich Österreich am Ende der Tabelle, gemeinsam mit Griechenland und Finnland.
Um Jahre zu spät kommen die neuen Erkenntnisse des IWF auch für Schweden. Die sozialdemokratisch geführten Regierungen sanierten den vor der Pleite stehenden Staat ebenfalls knallhart neoliberal: Staatsausgaben wurden zurückgefahren, die Verwaltung reduziert, das Frühpensionswesen abgestellt, die Steuern gesenkt, Staatsbetriebe privatisiert. Weder war in Schweden etwas von wachsender Ungleichheit zu sehen, noch wurde die Bevölkerung um ihre Zukunft betrogen.
In wirtschaftlich schlechten Jahren wurden Defizite eingefahren, in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaftet. Heute hat Schweden mit derselben Steuer- und Abgabenbelastung wie Österreich eine halb so hohe Staatsverschuldung. Dazu ein saniertes Budget, ein ausfinanziertes Pensionssystem, ein herzeigbares Bildungssystem und einen immer noch großzügigen Sozialstaat. Letzteres hat Österreich auch, alles andere leider nicht.
Das sind zwei Beispiele dafür, dass Austerität funktionieren kann. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass sie nicht funktionieren muss, wie Griechenland zeigt. Das könnte freilich auch daran liegen, dass die Athener Regierung an der falschen Stelle spart. Etwa bei einfachen Bürgern und Unternehmern. Vergessen scheint auch, dass Griechenland nicht Opfer der Finanzkrise ist, sondern Opfer seines exzessiven Staatskonsums bis zum Jahr 2009.
All das hört man hierzulande nicht gern. Schuld ist der Neoliberalismus, Punkt. Zwar weiß niemand so genau, was der Neoliberalismus eigentlich ist. Aber das ist auch nicht so wichtig, weil ja jedem klar ist, dass er etwas Verwerfliches ist. Etwas, was nur den reichen Bonzen nützt, die sich rücksichtslos an den Schwachen vergehen. Privateigentum, geöffnete Märkte, Verhinderung privater wie öffentlicher Monopole, Vertragsfreiheit, stringente Ordnungspolitik – all das führe unweigerlich in den Untergang.
Die Paranoia reicht mittlerweile so weit, dass junge Linke den für Maschinen- und Vermögensteuern plädierenden Bundeskanzler Christian Kern wegen seiner beruflichen Vergangenheit in „neoliberalisierten“ Staatsbetrieben ablehnen. Gemeint ist der Verbund, der „nur“ noch zu 81 Prozent in öffentlichem Eigentum steht.
Für den populären Neoliberalismusforscher Stephan Schulmeister zählt die neoliberale „Doktrin“ zu den größten Plagen der Gegenwart. Auch für den Aufstieg der radikalen Rechten sei sie verantwortlich, wie Schulmeister in dieser Zeitung unlängst schrieb. Die Globalisierung raube den Menschen zuerst die Arbeit und treibe sie dann mit kaputtgesparten Haushalten den Rechtspopulisten zu. Besonders schön lässt sich das in Österreich beobachten, hier gewinnen sie ja Wahl um Wahl. Kein Wunder, sind die öffentlichen Ausgaben bereits auf 52 Prozent der Wirtschaftsleistung „zusammengeschmolzen“.
Der Staat ist nur noch hauchdünn größter Wirtschaftsfaktor, da sollten alle Alarmglocken schrillen. Zumal der Bundeshaushalt im Zuge der neoliberalen Spardoktrin seit 1945 schon viermal im Plus abschließen musste, zuletzt vor 53 Jahren. Nur 66 Mal durften neue Schulden gemacht werden, wie soll denn da die Konjunktur in Schwung kommen, fragt man sich.
Bedienstete der Gemeinde Wien müssen in der ökonomisierten Gesellschaft von heute bis zum 55. Lebensjahr schuften, Normalsterbliche gar bis 60. Besorgniserregende zwei Prozent der Beschäftigten werden nach Angebot und Nachfrage entlohnt, nur noch 98 Prozent der Werktätigen sind über Kollektivverträge vor den Launen der Märkte geschützt. Der „kaputtgesparte“ Staat erzielt mit 172 Milliarden Euro zwar Rekordeinnahmen, investiert davon aber „nur“ noch 100 Milliarden (nicht Millionen) pro Jahr, um soziale Verwerfungen abzufedern. Was sollten die Menschen angesichts dieses Sparkults auch anderes tun, als Schutz bei den Rechtspopulisten zu suchen?
Etwas still geworden ist es indessen um das gefeierte anti-neoliberale Modell unserer Tage. Die Rede ist von Venezuela, dessen Führer der Bevölkerung mit dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts dauerhaften Massenwohlstand versprachen. Honorige Ökonomen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz applaudierten vor wenigen Jahren noch freudig. Enteignungen, Verstaatlichungen und öffentliche Monopolwirtschaft brachten der Bevölkerung aber nicht dauerhaften Wohlstand, sondern Massenelend.
In Venezuela gibt es Unmengen an Erdöl, aber kaum noch Nahrungsmittel und Medikamente. Kinder und Alte gehen in den staatlichen Spitälern elend zugrunde, weil es keine Antibiotika mehr gibt, deren Einfuhr die Staatsführung blockiert. Venezuelas Gesundheitssystem sei eines der besten weltweit, wie Präsident Nicolás Maduro unlängst ausrichten ließ.
Klar. Schuld an der Massenverelendung ist wohl wieder einmal das falsche Personal. Und natürlich der ausufernde Neoliberalismus.
Gastkommentar von Franz Schellhorn, „Die Presse“, 30.05.2016
Effizienter organisierte Staaten wie die Schweiz oder auch Schweden heben deutlich mehr Steuern lokal ein. Das sorgt für mehr Kostenwahrheit auf der regionalen Ebene und damit auch für geringere Ausgaben insgesamt.
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Dieses muss aber nicht durch neue Steuereinnahmen aufgetrieben werden, sondern könnte durch eine Umstrukturierung der Bildungsausgaben frei werden. Hierzulande wird für die frühen Phasen der Bildungskarriere – im Verhältnis zu fortgeschrittenen Ausbildungsstufen – wenig Geld ausgegeben. Länder wie Dänemark, Schweden oder Estland investier
Bei der Arbeitsmarktbeteiligung älterer Menschen gibt es in Österreich noch viel Luft nach oben. Zwar führte der Personalbedarf bereits in den vergangenen Jahren zu einer steigenden Beschäftigungsquote bei Älteren.
Auf Österreich kommen massive demografische Veränderungen zu. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Menschen über 65 Jahre um rund 50 Prozent steigen, während die Zahl der 20- bis 65-Jährigen deutlich abnimmt.
Österreich ist eine Teilzeit-Republik. Das ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein großes Problem. Und es wird vom Steuersystem indirekt gefördert, denn Mehrarbeit zahlt sich einfach nicht aus. Wer rechnen kann, stockt daher die Arbeitsstunden nicht auf. In kaum einem anderen Land bestraft das System Vollzeitarbeit so sehr, wie in Österreic
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