Das Land zählt mittlerweile zwei Menschen, die meinen, dass der frühere Bundeskanzler zu Unrecht gehen musste.
In Österreich gibt es eine ganze Reihe unsympathischer Sitten. Eine davon ist, dass Menschen in hohen Funktionen lächelnd gegrüßt, bei jedem Event hofiert und mit anbiederndem Lob überhäuft werden. Das tut nicht weh, und schaden kann es ja auch nicht – wer weiß, wen man noch alles brauchen kann im weiteren Leben … Wer aber plötzlich nichts mehr hat oder ist, hört auf zu existieren. Keine Einladungen mehr, keine anbiedernden Anrufe, keine unterwürfigen Blicke auf der Straße. Nichts.
Insofern ist es ein ziemlich feiner Zug von Peter Michael Lingens, dass er vergangene Woche in profil zur Ehrenrettung von Ex-Kanzler Werner Faymann ausrückte. Anlass war ein Beitrag im ORF, demzufolge Faymann wirtschaftspolitisch nicht durchschlagend erfolgreich gewesen sei, was an der hohen Arbeitslosigkeit, dem schwachen Wirtschaftswachstum und dem Absturz des Standorts in allen Rankings abzulesen sei.
Nach der Lektüre von Lingens’ Beitrag fragt man sich, was denn nun aus uns allen ohne Werner Faymann werden soll. Wie konnte der SPÖ-Parteivorstand einen derart talentierten Wirtschaftspolitiker in die politische Wüste schicken? Schließlich deckt Lingens die Erfolge des früheren Kanzlers schonungslos auf: In der Ära Faymann ist Österreichs Wirtschaft schneller gewachsen als die Eurozone. Die Investitionen sind ungebrochen hoch, und die Forschung ist dank öffentlicher Gelder eigentlich Weltklasse. Die Beschäftigung hat sich besser entwickelt als im gelobten Deutschland, und die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist nur noch in den steuerpolitischen Schurkenstaaten Luxemburg, Irland und Holland höher. In Lingens’ Liste der anständigen Volkswirtschaften liegt Österreich auf Platz eins.
Dass die Wirtschaftsleistung zentraler Bestandteil in Lingens’ Verteidigungslinie ist, hat freilich was. Schließlich schreibt er im selben Kommentar, dass das BIP nichts darüber auszusagen vermag, wie es der Bevölkerung geht. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Nicht unseriös wäre allerdings ein Hinweis darauf gewesen, wie es zu dem zeitweise höheren Wachstum gekommen ist: durch eine massive Erhöhung der Staatsausgaben auf Pump, wodurch sich das BIP erhöhte. Das höhere Wachstum ist also nur geliehen, wenn auch bestimmt im guten Glauben, damit die Wirtschaft ankurbeln zu können. Das hat leider nicht geklappt; ab dem Jahr 2012 war die Luft draußen. Österreich fiel immer weiter zurück, im abgelaufenen Jahr sind mit Finnland und Griechenland nur zwei EU-Volkswirtschaften schwächer gewachsen als Österreich.
Nach 7,5 Jahren Werner Faymann steht Österreich mit Nullwachstum, Rekordschulden und Rekordarbeitslosigkeit da. Nun sagt Lingens, dass die Arbeitslosigkeit immer noch relativ niedrig sei, nur Deutschland liege noch besser. Stimmt, davon haben aber die Menschen nichts, die auf Jobsuche sind. Sie leben nicht in Vergleichen, sondern im Hier und Jetzt. Und das sieht deutlich schlechter aus als zu Faymanns Amtsantritt. Die Arbeitslosigkeit ist seither um die Hälfte gestiegen, in Deutschland ist sie fast im selben Ausmaß gesunken.
Das ist Österreich nicht gewohnt, schließlich inszenierte Faymann das Land als Jobwunder. Wobei dieses Jobwunder keines war, sondern das Ergebnis eines geschickten Versteckens von Arbeitslosen, etwa durch flächendeckende Frühpensionierungen. Das bestätigte auch der Ex-Kanzler selbst, als er meinte, das Pensionsantrittsalter nicht anheben zu wollen, weil dann ja die Arbeitslosigkeit steige. Dabei klafft im staatlichen Pensionssystem Jahr für Jahr ein Finanzierungsloch von über zehn Milliarden Euro. Um selbiges zu stopfen und die Beamtenpensionen zahlen zu können, braucht der Finanzminister mittlerweile fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen. Sieht so eine geniale Wirtschaftspolitik aus?
Seit 2013 steigt neben der Zahl der Arbeitslosen auch die Zahl der offenen Stellen. Geringqualifizierte werden nicht mehr nachgefragt, weil ihre Jobs nach Osteuropa oder Fernost abgewandert sind. Fachkräfte bietet der Arbeitsmarkt nicht in ausreichendem Maße an; das ist die Rechnung für die bildungspolitischen Sünden der Vergangenheit. Ein Fünftel der 15-Jährigen kann nicht sinnerfassend lesen, ebenso viele beherrschen die Grundrechnungsarten nicht.
Das alles ist nicht Faymann allein umzuhängen. Klar ist aber, dass in seiner Amtszeit der Wirtschaftsstandort schweren Schaden genommen hat. Während andere Länder die Niedrigzinsen genutzt haben, nachhaltige Reformen zu finanzieren, hat Österreich seinem fantasielosen Ausgabenfetisch freien Lauf gelassen. Dafür werden noch Generationen bezahlen, wenn die Zinsen wieder steigen. Und das werden sie.
Was von Werner Faymann bleibt, ist ein gigantischer Reformstau und eine lähmende Zukunftsangst. Für die vielen hausgemachten Probleme kann man natürlich den deutschen “Sparpakt“ verantwortlich machen, wie Peter Michael Lingens das tut. Die Schuld im Ausland zu suchen, ist in Österreich ja eine Art Volkssport. Aber wie schon gesagt: In diesem Land gibt es eine ganze Reihe nicht sonderlich sympathischer Sitten.
Gastkommentar von Franz Schellhorn, „Profil“, 30.05.2016
Foto-Credit: BKA / Andy Wenzel
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