Sparschweine im Hamsterrad
- 30.10.2021
- Lesezeit ca. 3 min
Seit 1925 findet jährlich in der letzten Oktoberwoche der Weltspartag statt. Aber wer braucht diesen Tag eigentlich noch?
Früher war nicht alles besser. Aber der Weltspartag schon. In den 1960er- und 1970er-Jahren war der Tag ein Gesellschaftsevent. Ganze Schulklassen pilgerten in die Bankfilialen. Der Sparefroh, das offizielle Maskottchen der heimischen Sparer, war bekannter als der amtierende Bundespräsident. Bevor jemand fragt: Ja, Österreich ist das einzige Land der Welt, wo das Maskottchen des Weltspartags bis heute große Bekanntheit und Kultstatus genießt.
Auch wenn der Weltspartag aus der Mode gekommen ist, sind die Österreicher noch immer fleißige Sparer. Gut ein Zehntel des Einkommens wird auf die Seite gelegt. Im Krisenjahr 2020 war es sogar noch etwas mehr. Das ist deutlich mehr als der Durchschnitt in den Euro-Ländern. Und das hat sehr viel mit der Vergangenheit zu tun. Um zu zeigen, dass Sparen etwas Gutes ist, wurde vor fast 100 Jahren der Weltspartag ins Leben gerufen. Mit großer Wirkung. So liegen mehr als 40 Prozent des österreichischen Geldvermögens auf Sparbüchern oder jederzeit behebbaren Konten. Nur 16 Prozent sind in Aktien, Anleihen und Fonds veranlagt.
Was für die einen nach einer vernünftigen und sicheren Geldanlage klingt, ist bei der heutigen Zinslage aber nichts anderes als eine beispiellose Wertvernichtung. Die Österreicher sparen sich sprichwörtlich arm. Wer vor 25 Jahren 1.000 Euro in bar zur Seite gelegt hat, darf sich heute noch über einen Gegenwert von etwa 655 Euro freuen. Selbst wer sein Geld aufs Sparbuch gelegt hat, kann sich über diesen Zeitraum nur über einen minimalen Zugewinn von durchschnittlich neun Euro im Jahr freuen.
Die Inflation lässt den Wert des Geldes dahinschmelzen, Zinsen gibt es seit einigen Jahren auch keine mehr. Und das hat unter anderem folgenden Grund: Die Europäische Zentralbank hat mit ihrer Geldpolitik nicht die braven Sparer im Auge, sondern die über beide Ohren verschuldeten Eurostaaten. Sie mit billigem Geld finanzierbar zu halten, scheint das oberste Ziel. Das dürfte auch noch länger so bleiben, weil keiner der angeschlagenen Euro-Staaten höhere Zinsen verkraften könnte. Das wiederum bedeutet: In den kommenden Jahren winken die schlechtesten Renditen für Sparbücher seit knapp 20 Jahren.
Und wie reagieren die Österreicher auf all das? Sie sparen nicht weniger, sondern noch mehr. Rund 300 Milliarden Euro stecken in Bargeld, Sparbuch und am Konto.
Wer am Weltspartag des 21. Jahrhunderts mit seinem Ersparten noch etwas verdienen will, wird um eine Investition an den Kapitalmärkten nicht herumkommen. Anders als bei klassischen Sparanlagen wie Lebensversicherung, Bausparvertrag oder Sparbuch sind die Renditen hier weiter hoch. Dennoch tun sich viele Österreicher enorm schwer, sich über Aktien an florierenden Unternehmen zu beteiligen. Weil sie den Aktienmärkten nicht trauen. Seit Jahrzehnten wird gegen die Börsen kampagnisiert, allen voran von mächtigen Organisationen wie der Arbeiterkammer. Aktien zu kaufen, gilt hierzulande riskanter als der Gang ins Casino. Das hat auch sehr viel mit dem fehlenden Finanzwissen der Bevölkerung zu tun. Wird allerdings nicht alles auf eine Aktie setzt, hat eine Investition am Kapitalmarkt mit dem Wetten am Roulettetisch wenig gemeinsam. Tatsächlich ist es heutzutage so leicht wie nie zuvor, binnen weniger Minuten über das Smartphone am globalen Wirtschaftswachstum teilzuhaben. Weil früher eben doch nicht alles besser war.
Gastkommentar von Hanno Lorenz für den “Presse” (30.10.2021).
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