Bildung

Die soziale Bombe tickt im Klassenzimmer

Während Kinder in Ländern wie Singapur auf die Welt von morgen vorbereitet werden, wird in Österreich über neue Gratisangebote nachgedacht. – Kommentar von Franz Schellhorn

Pünktlich zu Schulbeginn kehrt das Thema Bildung auf die politische Tagesordnung zurück. Das ist gut so, der Handlungsbedarf ist unübersehbar. Österreichs Steuerzahler investieren enorme Summen in die Schulbildung der Kinder, die bei weltweit durchgeführten Tests aber nur im bescheidenen Mittelfeld zu finden sind. Angesichts der technologischen Umwälzungen ist das nicht gerade beruhigend. In der digitalisierten Welt von morgen ist der hohe Wohlstand dieses Landes nämlich nur über eine erstklassige Bildung breiter Bevölkerungsschichten zu halten.

Die Politik ist sich des Problems bewusst – so scheint es jedenfalls. Die Regierung hat bis Ende des Jahres einen Masterplan für das „digitale Klassenzimmer“ in Aussicht gestellt und von der SPÖ die Idee der „Gratis-Tablets für alle“ übernommen. Was die SPÖ nicht auf sich sitzen lässt und kräftig nachlegt: Gratis-Essen und Gratis-Betreuung in Ganztagsschulen sowie Gratis-Nachhilfe für alle. Das bedeutet nicht, dass all das nichts mehr kostet, sondern dass jemand anderer dafür bezahlt. Ex-Ministerin Sonja Hammerschmid will zudem einen zusätzlichen Urlaubstag für alle Eltern. Damit sie ausreichend Zeit haben, die nötigen Schulsachen zu besorgen und mit den Kindern den Schulweg zu üben. Das ist nett. Aber warum das im Urlaub zu geschehen hat, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis der österreichischen Sozialdemokratie.

Fast jeder fünfte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen

Sowohl Sonja Hammerschmid als auch ihr Nachfolger Heinz Faßmann dürften wissen, dass all diese Vorschläge am zentralen Problem nichts ändern. Und das liegt nun einmal darin, dass Jahr für Jahr Tausende Kinder die staatlichen Pflichtschulen verlassen, ohne ausreichend Lesen, Schreiben und Rechnen zu können. Fast jeder fünfte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen, ungefähr gleich viele beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. Das sind Durchschnittswerte, in vielen Schulen größerer Städte wäre man mit diesen Werten hochzufrieden. Vor allem in Wien.

Das wiederum heißt, dass die Schere zwischen gut und schlechter Gebildeten im Sozialstaat Österreich unweigerlich aufgeht. Es wachsen ganze Schülergenerationen heran, die kaum Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Denn eines muss allen klar sein: Ohne Lesen, Schreiben und Rechnen wird es in der digitalisierten Welt genauso wenig gehen wie in der analogen. Am härtesten trifft es natürlich Kinder aus bildungsfernen Schichten, um die sich niemand wirklich zu kümmern scheint.

Entscheidend ist das Können der Lehrer

Wie man es anders machen könnte, zeigen Staaten wie Singapur. Ein kleines Land, dessen Bevölkerung vor einem halben Jahrhundert noch zur Hälfte Analphabeten waren, die aber heute von der Spitze aller relevanten Bildungsstatistiken lachen. Wie die britische Wochenzeitung „Economist“ in seiner aktuellen Ausgabe schreibt, sind 15-jährige Schüler aus Singapur ihren gleichaltrigen Kollegen aus den USA im Lesen, Schreiben und Rechnen um drei Jahre voraus. Und den in Europa führenden Finnen um zwei Jahre. Auch bei Volksschülern und Studenten schneidet das Land hervorragend ab. Warum? Weil es viel von Schülern, vor allem aber von den Lehrern sehr viel verlangt. Im Alter von zwölf kommt es zu einer ziemlich harten Auslese, nur die besten Schüler dürfen in höhere Schulen und dann an die Universitäten. Trotzdem hat Singapur im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr als doppelt so viele Akademiker wie Österreich.

Der Unterricht ist digitalisiert, die Schülerzahl pro Klasse liegt im Schnitt bei 36. Das ist ungewöhnlich hoch und deutlich mehr als in Österreich, was einmal mehr zeigt, dass weder die Klassengröße noch der Unterrichtsstil oder gar die Schulform entscheidend sind. Entscheidend ist das Können der Lehrer, wie der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie schon vor Jahren in einer Metastudie gezeigt hat.

Singapur hat das erkannt. Es sucht sich seine Lehrer nach strengen Kriterien aus, nur die besten schaffen es ins Klassenzimmer. Sie werden gut bezahlt, müssen sich jedes Jahr einer strengen Beurteilung stellen und sich verpflichtend weiterbilden. 100 Stunden pro Jahr werden allein dafür aufgewendet, um sie technologisch auf dem letzten Stand zu halten. Die erfolgreichsten Lehrer bekommen Boni und sind für wichtige Posten im Bildungsministerium vorgesehen. Schüler, die zurückbleiben, werden in eigenen Kursen von den Lehrkräften nachgeschult, die Teilnahme ist verpflichtend.

Es fehlt der politische Mut

Das alles fehlt Österreich. Wir reden gern in Überschriften, auf die „Schule 4.0“ der Frau Hammerschmid folgt der „Digitalisierungs-Masterplan“ des Herrn Faßmann. Warum mehr geredet als umgesetzt wird, liegt zwar auch an der alles blockierenden Lehrergewerkschaft. Vor allem aber an den zuständigen Politikern, die sich dem Druck der Gewerkschafter seit Jahrzehnten folgsam beugen, zulasten der Kinder. Höchste Zeit also, dass das Thema wieder auf die politische Tagesordnung zurückkehrt. Und wer weiß, vielleicht gesellt sich ja irgendwann auch der politische Mut dazu.

Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 8.9.2018

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