Kurzarbeit: Wenn schon teuer, dann auch zielsicher
- 25.03.2020
- Lesezeit ca. 8 min
Die Einführung der schnellen und unbürokratischen Kurzarbeit ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Da die pandemiebedingte Wirtschaftskrise sehr rasch voranschreitet und derzeit ihre Dauer noch nicht absehbar ist, ist Tempo wichtig. Denn die gesamtwirtschaftlichen Kosten fallen noch höher aus, wenn Mitarbeiter gekündigt werden und Unternehmen in die Insolvenz schlittern.
Deshalb braucht es an vielen unterschiedlichen Stellen Hilfe. Wichtig ist es aber auch, die Kontrolle über das Budget zu behalten. Jeder Cent wird gerade gebraucht, um die Wirtschaft zu stabilisieren und für Liquidität im Ausnahmezustand zu sorgen. So können die Kosten bei der für Unternehmen und Beschäftigte sehr großzügig ausgestalteten Kurzarbeit rasch sehr hoch werden. Das zeigt ein theoretisches Beispiel: Werden zehn Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft mit einer Arbeitsreduktion von 90 Prozent in Kurzarbeit geschickt, fallen für den Staat Kosten in Höhe von 161 Millionen Euro an – jede einzelne Woche.[1] Zum Vergleich: Die Kosten für Arbeitslosigkeit sind natürlich auch massiv: die direkten Geldleistungen über die Arbeitslosenversicherung belaufen sich auf rund 110 Mio. Euro pro Woche, indirekte Kosten nicht eingerechnet.
Daher sollten Maßnahmen wie die Kurzarbeit auch gut konstruiert sein. Denn für letztere gibt es immer ein Für und Wider: je größer der Kreis der Berechtigten und je laxer die Kontrollen sind, desto mehr Mitnahme-Effekte und potenziellen Missbrauch wird es geben. Je enger der Kreis und je stärker die Kontrolle, desto länger und bürokratischer wird der ganze Prozess – was in der jetzigen Situation gefährlich ist, weil die Hilfe für viele gesunde Unternehmen zu spät kommen könnte.
Zwei Befürchtungen bestehen aufgrund der fehlenden Zeit und den mangelnden Kontroll-Kapazitäten:
- Der Mitnahme-Effekt könnte größer als erwartet sein: Es werden also Unternehmen mitfinanziert, die nicht ausgelastet sind, aber ohnehin vorhatten, ihre Mitarbeiter zu halten. Das betrifft in erster Linie besser-qualifizierte Arbeitskräfte in Branchen wie der Industrie, die hohe Kosten für die Neuqualifizierung vermeiden will. Das ist nicht nur ein Effizienz-Problem: Wenn die Mittel für die Kurzarbeit begrenzt sind, könnte für andere, weniger solvente Unternehmen kein Geld mehr dafür vorhanden sein und die Arbeitslosigkeit würde stärker als erhofft steigen.
- Betrugsfälle könnten sich häufen. Das bedeutet: Es werden auch Unternehmen das Kurzarbeitsmodell in Anspruch nehmen, die sich dadurch Arbeitskosten ersparen wollen, aber de facto keine Reduktion der Arbeit in dem Ausmaß vorsehen. Insbesondere bei kleinen Unternehmen könnte das vermehrt der Fall sein. Da derzeit viele Mitarbeiter im Home Office arbeiten, ist das schwierig zu überprüfen.
Wie groß könnte das Problem sein?
In der letzten großen Krise im Jahr 2009 wurde das Instrument der Kurzarbeit zuletzt vielfach eingesetzt, um möglichst viele Beschäftigte durch die Rezession zu tragen. Studien legen nahe, dass die Mitnahme-Effekte bei der Kurzarbeit groß sind. Boeri & Bruecker (2011) haben verschiedene Länder untersucht: Beispielsweise wurden in Deutschland in der Krise rund 260.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit geschickt. Nach Schätzungen der Autoren wurden aber nur rund 83.000 Jobs wirklich „gerettet“. Der Mitnahme-Effekt lag also bei zwei Drittel. Die Situation sieht in anderen Ländern ähnlich aus[2].
Ist Kontrolle besser?
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um Mitnahme-Effekte oder gar Betrug im Zusammenhang mit der Kurzarbeit zu reduzieren.[3]
- Nachweis der ökonomischen Notwendigkeit;
- Zustimmung der Sozialpartner;
- Verbot der Kündigung während bzw. nach der Kurzarbeitsperiode;
- Entwicklung eines Sanierungsplanes;
- Zeitliche Begrenzung;
- Verpflichtende Job-Suche, falls die Arbeitsstunden von Mitarbeitern auf null reduziert werden;
- Verpflichtende Weiterbildung der Mitarbeiter (in manchen Fällen durch den Staat bezahlt);
- Mittragen der Arbeitskosten durch den Arbeitgeber – entweder einen Teil der Stunden, während nicht gearbeitet wird, oder während der ersten Periode.
Das Problem ist dabei folgendes: Viele dieser Bedingungen sind aufgrund der akuten Gesundheitskrise unrealistisch oder kosten zu viel Zeit. Und Zeit ist tatsächlich besonders wertvoll, schnelle Hilfe ist entscheidend. Dazu helfen Forderungen wie die verpflichtende Job-Suche oder Weiterbildung ebenso wenig wie das Vorlegen von Sanierungsplänen, wenn die Krise einen großen Teil der Wirtschaft trifft.
Zwar wäre ein Nachweis seitens der Unternehmen sinnvoll, dass sie auf die Kurzarbeit ökonomisch angewiesen sind, aber man riskiert in diesem Fall eine lange bürokratische Abarbeitungszeit und mehr Kündigungen bei gesunden Unternehmen, die mit schneller Hilfe durch die Krise zu bringen wären.
Die österreichische Bundesregierung hat das vermutlich großzügigste Kurzarbeitsmodell Europas geschaffen. Sollte die Krise länger dauern und die Kurzarbeit verlängert werden müssen, wäre es gut, sich bereits jetzt Gedanken darüber zu machen, sie möglichst treffsicher zu gestalten, um es Trittbrettfahrern so schwer wie möglich zu machen. Das Problem sind ja die Fehlanreize („Moral Hazard“) bei Unternehmen, die rational auf Kosten der Allgemeinheit agieren und wissen, dass Behörden über weniger Information und Zeit verfügen.
Die Lösung ist ein Vertrag, der dafür sorgt, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ohnehin behalten würden, die Kurzhilfe nicht in Anspruch zu nehmen brauchen. Währenddessen beantragen jene Unternehmen Kurzarbeit, die in finanzieller Not stecken.
Handlungsempfehlungen:
Kurzarbeit: Nutzen heute, Kosten später. Eine klassische Lösung eines ähnlichen Problems ist in den USA entstanden, das so genannte ‘experience rating’. In diesem System müssen Firmen höhere Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, wenn ihre ehemaligen Mitarbeiter höhere Auszahlungen aus der Arbeitslosenversicherung bekommen. Somit entsteht der Anreiz, Mitarbeiter nicht zu kündigen, denn jede Kündigung kann höhere Sozialversicherungs-Zahlungen in der Zukunft bedeuten.
Steuer gegen Mitnahme. Je länger und intensiver Firmen die Kurzarbeit in Anspruch nehmen, desto höhere Steuern müssen sie in Zukunft zahlen. Da Österreich bereits sehr hohe Sozialversicherungsbeiträge hat, sollten die Lohnnebenkosten dadurch nicht belastet werden, weil das den Beschäftigungsanreiz noch einmal senken würde. Stattdessen sollten Unternehmen, die in einem hohen Maße Förderung über die Kurzarbeit nutzen, einen Aufschlag auf die Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer zahlen. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Steuer für diejenigen Firmen zu reduzieren, die Kurzarbeit nicht in Anspruch genommen haben und die Mitarbeiter nicht gekündigt haben. Dieses Bonus/Malus-System hätte den Vorteil, dass der Kontrollaufwand erst nach der Krise anfällt, Unternehmen aber bereits heute keinen Anreiz haben, die Kurzarbeit „auszunutzen“.
Daten über Branchen. Darüber hinaus könnte sich das System auch an den Branchen orientieren. Dann wäre es beispielsweise wichtig, ob ein Unternehmen relativ zu seinen Wettbewerbern und ähnlich betroffenen Firmen viele Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt hat oder nicht.
Gesunden Unternehmen helfen. Kurzarbeit hat das Ziel, Beschäftigte in gesunden Unternehmen zu halten. Sie ist keine Liquiditätsstütze, dafür gibt es andere Wege, etwa Steuerstundungen beim Finanzamt, Überbrückungskredite oder „Cash“ aus dem Krisenbewältigungsfonds. Es wäre ein Problem, wenn die Kurzarbeit vor allem als Liquiditätsinstrument gesehen wird, weil dann auch Unternehmen zugreifen werden, die vielleicht gar nicht in der Lage sind oder nicht vorhaben, die Arbeitsplätze mittelfristig zu sichern. Für Liquidität braucht es andere Instrumente, wie etwa Garantien, Kredite öffentlicher Banken oder Notfallhilfen bei Umsatzentgang.
Literatur:
- Hijzen, A., & Martin, S. (2013). The role of short-time work schemes during the global financial crisis and early recovery: a cross-country analysis. IZA Journal of Labor Policy, 2(1), 5.
- Boeri, T., & Bruecker, H. (2011). Short-time work benefits revisited: some lessons from the Great Recession. Economic Policy, 26(68), 697-765.
- Feldstein, M. S. (1973). Lowering the permanent rate of unemployment. US Government Printing Office.
- Blanchard, O. J., & Tirole, J. (2008). The joint design of unemployment insurance and employment protection: A first pass. Journal of the European Economic Association, 6(1), 45-77.
- Cahuc, P., & Zylberberg, A. (2008). Reduction of working time and unemployment. Mimeo.
- Cahuc, P., & Carcillo, S. (2011). Is short-time work a good method to keep unemployment down?. Nordic Economic Policy Review, 1(1), 133-165.
Fußnoten
- Wie realistisch sind zehn Prozent, also rund 320.000? Da bereits viele Unternehmen, vom Baukonzern Strabag, über Autozulieferer, den Stahlkonzern Voestalpine, die Fluggesellschaft AUA bis zu bekannten Gastronomen verkündet haben, das neue Kurzarbeitsmodell zu nutzen, wurde bereits laut Medienberichten in den ersten Tagen seit der Einführung Anträge für 50.000 Arbeitnehmer bekannt. Die Größenordnung ist also nicht unrealistisch. ↩
- Die Autoren präsentieren zusätzlich eine andere Berechnung, aus der hervorgeht, dass die Kosten niedriger sind. Vgl. Tabelle 11 in Boeri & Bruecker, 2011. ↩
- Vgl. Hijzen & Martin (2013). ↩
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