Dass die Industrie über zu hohe und die Gewerkschaft über zu niedrige Löhne klagt, gehört zum Handwerk. Doch beide täten gut daran, der Realität ins Auge zu blicken.
Herbst 2025: Die diesjährigen Tariflohnrunden sind gerade vorüber. Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zeigen sich mit den Ergebnissen zufrieden. Die österreichischen Löhne werden 2026 um fünf Prozent sinken. Ein guter Kompromiss. Die Arbeitgeberseite hatte minus neun Prozent gefordert, um bei den Lohnkosten den Anschluss an den Euroraum wieder herzustellen. Die Maximalforderung der Gewerkschaften war eine Nulllohnrunde. Insider hatten aber vor Beginn der Verhandlungen schon durchklingen lassen, dass diese unrealistische Forderung vor allem taktischen Zwecken diente.
Keine Angst. Sie sind nicht in der Witzspalte gelandet. Was so grotesk anmutet, ist nämlich knallharte Realität. Wir haben nur gelernt, sie zu verdrängen. Dass die österreichischen Tariflöhne 2023 um sagenhafte vier Prozentpunkte stärker gestiegen sind als im Euroraum, und dass es auch 2024 und 2025 noch einmal jeweils mehr als zwei Prozentpunkte mehr waren, haben wir gekonnt ignoriert. Heute schwillt den Gewerkschaften die Brust vor Stolz, dass Österreich trotz Rekordinflation zu den ganz wenigen OECD-Ländern gehört, die seit 2021 Reallohnzuwächse vorzuweisen haben. Die Arbeitgeberseite ist heilfroh, dass man Streiks abwenden konnte. Zu groß die Angst, aus den internationalen Lieferketten zu fliegen, sobald die Fließbänder stillstehen. Jahrelang haben sie lieber zahm verhandelt und sich hinterher bei der Politik über die wegbrechende Wettbewerbsfähigkeit beschwert.
Würden wir pro Stunde mehr schaffen als früher und wäre dieser Produktivitätszuwachs dann auch noch höher als anderswo in Europa, dann wären höhere Löhne nicht nur kein Problem, sondern sogar das Gebot der Stunde. Doch mit der Produktivitätsentwicklung sieht es seit Jahren mau aus. Pro Kopf sowieso, weil wir immer weniger arbeiten. Aber auch pro Stunde geht es nicht mehr voran. Und wie auch? Der letzte verbleibende Jobmotor in Österreich ist der öffentliche Dienst. Wer die Beschäftigungszahlen studiert, muss vermuten, dass es allein in den Wiener Magistraten heute doppelt so viel zu tun gibt wie vor 15 Jahren. Wer aufmerksam durch die Stadt geht, sieht den Stillstand mit bloßen Augen. Am Bahnhof Wien Mitte stehen zur Stoßzeit oft Dutzende Kontrolleure in gelben Warnwesten und prüfen die Fahrscheine der Pendler. Es muss wohl die unproduktivste Tätigkeit seit Erfindung des öffentlichen Nahverkehrs sein, die in vielen anderen Großstädten längst von technischen Systemen erledigt wird. Weit entfernt sind wir nicht mehr von den ikonischen britischen Heizern, die bis weit in die 1970 Jahre auf Elektroloks mitfuhren, weil die Gewerkschaften ihre Jobs sichern wollten.
Wir täten gut daran, zur Realität zurückzukehren. Die oben genannten Zahlen waren nämlich kein Witz. Tatsächlich würden die Löhne um fast neun Prozent sinken müssen, um die Lücke zur Eurozone zu schließen, die wir in nur fünf Jahren aufgerissen haben. Um nicht weiter an Boden gegenüber anderen Industrieländern in Europa zu verlieren, die – ob wir das nun wollen oder nicht – unsere relevanten Konkurrenten sind, werden die Gewerkschaften auf absehbare Zeit äußerst zurückhaltend sein müssen. Ihre Benya-Formel gehört ins Museum. Sie hat nicht viel Schaden angerichtet, als Österreich noch nicht so ein ausgeprägtes Exportland war wie heute. Doch sie hat eindeutig ausgedient.
ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth sieht das Ganze berufsbedingt übrigens etwas anders. In Ihren Augen ist die Benya-Formel ein „Garant der Wettbewerbsfähigkeit“. Da wären wir wohl wieder in der Witzspalte.
Gastkommentar von Jan Kluge in der ‘Presse’ (13.6.2025).
Der österreichische Arbeitsmarkt zeigt, dass höhere Beschäftigung im Alter möglich ist: Seit der schrittweisen Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters für Frauen ist die Zahl der 60-jährigen weiblichen Erwerbstätigen um fast 75 Prozent gestiegen.
In den letzten Jahren hat man in Wien zwar kräftig Beamte abgebaut, doch die Zahl der Vertragsbediensteten hat sich seit 2008 mehr als verdoppelt, wie eine Auswertung der Agenda Austria zeigt.
Die Welt wird immer schlechter, die Reichen immer reicher: Warum uns unser Bauchgefühl in die Irre führt und wie gefährlich Halbwissen für die Politik ist.
Über Gemeindefinanzen und Prioritäten.
Österreichs Gemeinden kommen mit ihrem Geld nicht mehr aus. Mal wieder. Eine Überraschung ist das nicht. Denn der österreichische Föderalismus ist eine Fehlkonstruktion.
Seit Beginn der Corona-Krise sind die Defizite der Gemeinden und Wiens deutlich gestiegen, lediglich unterbrochen von einer kurzen Verschnaufpause.
Allein von 2019 bis 2024 stiegen die Gemeindeschulden um fast die Hälfte. Pro Kopf sieht es im Land Salzburg und in Kärnten noch am besten aus.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
Lernen Sie uns kennenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen