Innenpolitik

Liebe Neos, was hat Euch inhaltlich bloß ruiniert?  

Die Neos wollten das politische System erneuern. Stattdessen scheint das politische System die Neos „erneuert“ zu haben. Das ist keine gute Nachricht.

Liebe Neos, politisch betrachtet seid Ihr eine absolute Erfolgsgeschichte. Eine für Österreich noch dazu untypische. Matthias Strolz hat die Partei quasi aus dem Nichts gegründet, sie über sechs Jahre am Leben gehalten, obwohl so gut wie niemand außer ihm einen Cent auf das politische Überleben der NEOS gesetzt hätte. Beate Meinl-Reisinger hat Euch nicht nur in die Wiener Stadtregierung geführt, sondern jetzt auch noch erfolgreich in die Bundesregierung gelotst. Das muss man als kleine, noch sehr junge Partei erst einmal hinkriegen. Noch dazu, wenn man sich das Etikett „liberal“ umhängt, ohne dass einem die Pistole an die Schläfe gedrückt worden wäre.  

Über all die Jahre hindurch wart Ihr ein Lichtblick für all jene, die auf eine grundlegende Erneuerung des staatlichen Systems hofften. Auf einen zivilisierteren Umgangston in der Politik, auf ein Ende des widerwärtigen Postenschachers, auf eine Modernisierung des verkrusteten Bildungsbetriebs, auf eine entschlossene Zurückdrängung des heillos überbordenden Staates. Und als einzige Partei habt Ihr in all den Jahren den Mut aufgebracht, auf eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters zu drängen. Genauso gut könnte man sich hierzulande auch für die flächendeckende Privatisierung aller heimischen Wasserreserven ins Zeug legen.

Und heute, liebe Neos? Heute seid Ihr die jüngste Altpartei des Landes. Ihr seid vom erfrischenden Störfaktor zur geschmeidigen Stütze des politischen Systems geworden. Klar, es ist nicht einfach, als kleine Partei sichtbare Spuren zu hinterlassen. Und ja, mit den Grünen statt Euch wäre es noch schlimmer gekommen, Ihr habt den Bundesstaatsanwalt durchgesetzt und versucht im Bildungsbereich Euer Bestes. Aber letzten Endes wollt Ihr das Land nicht grundlegend erneuern. Ihr wollt dabei sein, Ihr wollt geliebt werden, Ihr sehnt Euch nach dem Applaus Eurer politischen Opponenten. Das ist menschlich, bringt das Land aber keinen Zentimeter weiter. 

Ihr sprecht vom schlanken Staat – und bildet auf Bundesebene die dickste Regierung, die es in diesem Land jemals gegeben hat.

Ihr sprecht vom harten Sparkurs – obwohl der Staat heuer um acht Milliarden Euro mehr ausgibt als im Vorjahr. Ihr fordert seit Jahren eine ausgabenseitige Budgetsanierung – und gehört nun einer Regierung an, die sich schon in ihrem ersten Jahr mit der höchsten Steuer- und Abgabenquote in die Geschichtsbücher einträgt. Ihr habt aus der Oppositionsbank die Abschaffung der Kalten Progression durchgesetzt – und stimmt in Regierung für deren teilweise Wiedereinführung.  

Seit Eurer Gründung kritisiert Ihr die gnadenlose Plünderung des Pensionssystems durch die flächendeckende Frühverrentung des Landes. Um in Wien zum zweiten Mal in Folge einen Koalitionsvertrag mit jener SPÖ zu schließen, die bis heute ihre Beamten reihenweise mit 55 in die Frühpension verabschiedet. Und auf Bundesebene verkauft Ihr den zart verschärften Zugang zur Frühpension als „größte Pensionsreform der letzten 20 Jahre“. Das ist auch nicht gelogen, schließlich ist 20 Jahre nichts passiert. Aber reicht Euch das wirklich?

Ihr beklagt die überbordende Verschuldung des Staates – seid aber mitverantwortlich dafür, dass die Schulden der Stadt Wien in der letzten Legislaturperiode um rund 50 Prozent explodiert sind. Und auch dafür, dass die Stadt heuer noch einmal 3,8 Milliarden Miese schreibt. Von konkreten Einsparungen ist im Wiener Koalitionsabkommen nichts zu finden. Der Wiener Bürgermeister behält auch nach den „Erfahrungen“ mit der Wien Energie aus dem Sommer 2023 seine „Notkompetenz“, mit der er – ohne jemanden fragen zu müssen – über Nacht mehr Geld ausgeben kann als der US-Präsident. 

Ihr prangert seit Jahren den strengsten Ladenschluss außerhalb Kubas an, verzichtet aber darauf, zumindest die Wiener Innenstadt zur Tourismuszone zu erklären. Damit die Tausenden Touristen an den Wochenenden ihr Geld in jenen Geschäften lassen können, die freiwillig offenhalten wollen. Stattdessen verständigt Ihr Euch mit der SPÖ im Tourismuskapitel auf eine „Toilettenstrategie“. Die Sache liest sich wie ein schlechter Witz: „Die Aktion ‚nette Toilette‘ macht die Toilettenbenützung ohne Konsumzwang bei ausgewählten Gastronomiepartnern möglich“. Meint Ihr das Ernst?  

Nein, liebe Neos, Ihr seid nicht für die großen Probleme des Landes verantwortlich. Aber Ihr seid an deren Nicht-Lösung mitbeteiligt. Das ist schade, denn das Land hätte sich mehr verdient. Und Ihr Euch auch.  
 

Gastkommentar von Franz Schellhorn in der ‘Presse’ (07.06.2025).

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