Reformen sind politisch immer dann opportun, wenn man selbst in der Opposition sitzt. Der schwäbischen Hausfrau die Spendierhosen anzuziehen, wird nicht reichen. Dieses Staatsversagen bleibt nicht ohne Folgen.
Es ist noch keine fünf Monate her, da entließ der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister, weil die Liberalen die Ausgabenwünsche des roten und grünen Koalitionspartners blockierten. Sieger ging aus diesem Streit keiner hervor: Die SPD verlor den Kanzler, die Grünen die Regierungsbeteiligung und die FDP scheiterte am Einzug in den Bundestag. Auch die Merz-CDU wollte den rot-grünen Schuldenrausch nicht mitmachen; Neuwahlen sollten einen bürgerlichen Kurswechsel einleiten. Derselbe Friedrich Merz, der vor den Wahlen einen strikten Sparkurs eingemahnt hat, ist auch jener, der SPD und Grünen nach den Wahlen jene Ausgabenwünsche erfüllt, gegen sich die FDP so vehement gewehrt hat. Der deutsche Kanzler in spe plant also genau das, was Scholz vor der Wahl wollte: höhere Schulden, weniger Reformen. Reformen sind für Politiker offenbar nur dann ein Thema, wenn man sie von der Oppositionsbank brüllt.
Nun darf man sich als Österreicher naturgemäß darüber freuen, wenn die Politik beim Lieblingsnachbarn von den Schwierigkeiten im eigenen Land ablenkt. Unglücklicherweise sind die Problemzonen auffallend ähnlich gelagert: In beiden Ländern wählen die Bürger Mitte-rechts, um dann eine Mitte-Links-Politik serviert zu bekommen, was immer mehr Wähler in die Hände populistischer Parteien treibt. In beiden Ländern schrumpft die Wirtschaft das dritte Jahr in Folge. In beiden Ländern steigt die Arbeitslosigkeit und in beiden Ländern herrscht der Glaube vor, Reformen würden Wahlen kosten. Weswegen seit Wolfgang Schüssel oder Gerhard Schröder strukturelle Probleme nicht mehr gelöst, sondern mit immer mehr Geld zugeschüttet werden. Der fehlende Erfolg dieser Strategie lässt sich in allen Statistiken ablesen: Wer sich die wirtschaftliche Entwicklung der EU-Mitglieder ansieht, muss ans untere Ende springen, um Deutschland und Österreich zu finden. Die neuen Krisenländer sitzen nicht mehr im Süden, sondern im Zentrum der EU.
Ja, der deutsche Staat hat die deutsche Infrastruktur ausbluten lassen. Wer heute auf die Bahn angewiesen ist, schickt vor Reiseantritt ein Stoßgebet Richtung Himmel. Zugausfälle sind die neue Normalität. Dabei liegen in den Töpfen des Staates Milliarden für die Infrastruktur bereit – sie werden nicht abgerufen, weil die Länder und Gemeinden die Ausgaben kofinanzieren müssen. Das können sie nicht, weil sie das Geld schon anderwärtig ausgegeben haben. Dasselbe gilt für die Bundeswehr, auch hier wurde das alte „Sondervermögen“ nicht ausgereizt. Dem deutschen Staat fehlt es nicht am Geld. Es fehlt an den richtigen Prioritäten. Eine Schuldenbremse zwingt die Politik, sich zu entscheiden, wofür das Geld ausgeben werden soll. Die Wahl fiel der letzten Bundesregierung nicht schwer: Während die Ausgaben für Soziales in Deutschland zuletzt auf über 30 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen sind, belaufen sich die Staatsinvestitionen gerade einmal auf knapp drei Prozent.
Statt Leistungsanreize zu setzen, fördert die Politik die Wohlfühlgesellschaft. Allein das Herausrechnen der zusätzlichen Investitionen in die Verteidigung aus der Schuldenbremse verschafft der Bundesregierung einen Spielraum in der Höhe von 20 Milliarden Euro, die neu verteilt werden können. Und so ist es kein Zufall, dass mit den Beschlüssen zur Lockerung der Schuldenbremse im Bundestag viel von höheren Sozialausgaben die Rede war. Mindestlohn und Mütterrente gehören schließlich zur „sozialen Infrastruktur“ des Landes. Mit der Lockerung der Schuldenbremse werden budgetäre Türen geöffnet, die nicht mehr zu schließen sein werden. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist löblich, dass Deutschland die sozial Schwachen schützt, seine Schulen auf Vordermann renoviert, seine Straßen- und Schienennetze erneuert und das Klima schützt. Genau dafür wären aber die rekordhohen Staatsausgaben gedacht. Jetzt werden aber auf Kosten der kommenden Generationen neue Schulden aufgenommen, um jene öffentlichen Leistungen zu bezahlen, die bereits jetzt knapp 50 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschlingen.
Während die Deutschen noch vor nicht allzu langer Zeit den Griechen mit einer großen Portion Überheblichkeit erklärt haben, wie sie ihre Staatsausgaben in den Griff zu bekommen haben, gehen sie selbst den Weg des geringsten Widerstands. Deutschland finanziert seinen Wohlstand von heute mit dem Geld kommender Generationen. Die Wohlstandsillusion auf Pump ist eines der größten Staatsversagen unserer Zeit. Das bleibt nicht ohne Folgen. Schon jetzt zeigen sich die Finanz- und Kapitalmärkte in höchstem Maße beunruhigt. Nicht nur die Zinsen für deutsche Staatsschulden steigen, auch jene anderer Euro-Länder. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die höheren Kapitalkosten für die Staaten bei den europäischen und Konsumenten landen. Deren Kredite werden sich verteuern, womit nicht nur die Deutschen für die Lockerung ihrer Schuldenbremse bezahlen werden, sondern wir alle.
Gastkommentar von Hanno Lorenz im “Der Standard” (26.03.2025).
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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