Mit einem Schlag holt der Euro zum Dollar auf und wird zum „sicheren Hafen“. Damit das so bleibt, muss die Tugend der Sparsamkeit in der EU gehegt und gepflegt werden.
Wann immer es ums Geld geht, wird gestritten. Das ist normal, kommt in den besten Familien vor. Auch in der Europäischen Union. Aber unser Kronjuwel, die bisher größte Errungenschaft der EU, steht derzeit selten im Mittelpunkt der Debatte. Dabei hat der gerade beschlossene Corona-Deal in der EU enorme Auswirkungen auf den Euro. Man könnte fast meinen: Der Deal ist auf den Euro und seinen Status als zweitwichtigste Reservewährung zugeschnitten.
Aber der Reihe nach: Der Euro löst allerlei Emotionen aus und ist in manchen Kreisen (vor allem im Norden Europas) bis heute oft umstritten. Und wenn man sich vor Augen hält, wie schwer der Weg von Erfindung bis Einführung der Gemeinschaftswährung war, grenzt seine Existenz fast an ein Wunder. Der Euro ist wirklich eine Jahrhunderterrungenschaft.
Viele US-Ökonomen wollen bis heute nicht wahrhaben, dass der Euro ein Erfolg ist, dass er sogar in seiner schlimmsten Krise wachsen konnte. Griechenland ist nicht ausgestiegen. Italien sowieso nicht. Stattdessen sind neue Mitglieder dazugekommen.
Die US-Skepsis hat ihre Gründe. Der Euro war immer als Projekt der europäischen Emanzipation angelegt. Man kann seine Wurzeln bis in die 1970er-Jahre zurückverfolgen. Damals hat Richard Nixon die Goldbindung des Dollars aufgehoben. Ein gewaltiger Affront für Europäer, vor allem für die Franzosen. Der ehemalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker widmete dem Euro seine Abschiedsrede Ende 2018. „Der Euro muss das Gesicht und Werkzeug der neuen europäischen Souveränität werden“, sagte er damals: „Es ist völlig unsinnig, dass 80 Prozent der Energieimporte in Europa in Dollar bezahlt werden.“
Zurück in den Sommer 2020. Der große Corona-Wurf ist gelungen – ohne dass wir seine Bedeutung für den Euro jemals groß thematisiert hätten. Stattdessen haben uns die „Sparsamen Fünf“ und ihre erbitterten Gegner bei Laune gehalten. Die Märkte sehen aber mehr als jeder Journalist. Und sie haben schon am Dienstag entschieden, dass sie das gut finden, was die EU da gemacht hat. „Zum ersten mal werden die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam für Anleihen geradestehen, was einer Herausforderung für die Hegemonie des Dollars in den Finanzmärkten darstellt“, schreibt Bloomberg: „Der Euro wird zu einem glaubwürdigen sicheren Hafen“.
Es ist so: Unser Geldsystem baut auf Schulden auf. Und zwar vor allem auf amerikanischen Staatsschulden. Donald Trump kann die um Billionen in die Höhe treiben, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Weil der Dollar die unangefochtene Reserve- und Leitwährung Nummer eins ist.
Das wird sich jetzt auch nicht akut ändern – aber mit dem Deal ist der Euro wieder ein Stück näher an den Dollar herangerückt. Erstmals wird man an den Märkten Anleihen handeln können, die man getrost als „Eurobonds“ bezeichnen kann. In den Geschichtsbüchern wird einmal stehen, dass Corona notwendig war, um aus dem Euro einen „sicheren Hafen“ zu machen, wie es bis dato nur der Dollar war.
Aber hier ist der Haken: Hemmungslose Verschuldung wie die Amerikaner sie betreiben, ist für uns Europäer auch jetzt keine Option. Der Euro wird nicht über Nacht zur Leit- und Reservewährung. Er wird nie alleine regieren, wie der Dollar in den vergangenen Jahrzehnten. Er muss sich seinen Status weiterhin hart erarbeiten.
Und dazu gehört eine seriöse Haushaltsführung wie sie in Washington völlig unbekannt ist. Das ist die Idee hinter den (leider längst durchlöcherten) Maastricht-Kriterien gewesen – und es ist der Grund, warum die „Sparsamen Fünf“ trotz des lauten Gejammers auf Twitter und in den Kommentarspalten eine elementare Rolle spielen.
Dass wir in Europa heute viele Länder haben, deren Staatsanleihen sehr niedrig oder auch negativ verzinst sind, liegt an deren Glaubwürdigkeit in Sachen disziplinierter Haushaltsführung. Ja, die Europäische Zentralbank hilft durch Anleihenkäufe nach – aber das machen alle anderen großen Notenbanken in ihren Heimatmärkten auch. Der relative Unterschied liegt also weiterhin in der Stabilität der Staatsfinanzen.
Wenn der Euro seinen neuen Status als „sicherer Hafen“ nicht wieder verlieren will, darf Europa seine Glaubwürdigkeit in Sachen Haushaltsdisziplin nicht verspielen. Das heißt nicht, dass irgendwas „kaputtgespart“ werden soll – sondern dass die vorhandenen Mittel möglichst effizient und verantwortungsbewusst eingesetzt werden müssen. Sonst werden die Märkte uns rasch bestrafen, den Euro schmähen und die Zinsen nach oben treiben. Schlimmer noch: Die Kluft zwischen Nord- und Südeuropa würde aufgehen und das ganze Projekt in Frage stellen. Das ist es, wovor die „Sparsamen“ warnen, wenn sie von einer „Schuldenunion“ sprechen. Eine solche würde nicht lange halten und die Errungenschaften von sieben Jahrzehnten zunichte machen. Sparsamkeit ist deshalb keine Last, sondern eine Tugend. Wir müssen sie hegen und pflegen. Jetzt erst recht.
Disclaimer: Dieser Text sowie die Hinweise und Informationen stellen keine Anlageberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
Kolumne „Junges Geld“ von Nikolaus Jilch auf „derbrutkasten.com“ (22.07.2020)
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