In der Agenda Austria diskutierte OeNB-Gouverneur Nowotny mit Experten die Wahrscheinlichkeit einer Deflation. Und deren Folgen. In einem waren sich alle einig: Deflation ist nicht gleich Deflation.
Ob an der Supermarktkasse, bei Mieten oder Aktien – täglich haben viele Menschen den Eindruck, dass die Preise unaufhaltsam steigen und die Kaufkraft schwindet. Doch in den offiziellen Statistiken ist davon nichts zu sehen, ganz im Gegenteil: Die Inflationsrate ist derzeit moderat wie selten zuvor. Deshalb warnt eine wachsende Zahl von Ökonomen auch vor einem „japanischen Szenario“ mit sinkenden Preisen und schwachem Wirtschaftswachstum.
Wie berechtigt ist nun diese Angst vor der Deflation? Dieser Frage gingen am Montagabend in voll besetzten Räumen der Agenda Austria OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny, Christian Gattiker (Julius Bär) sowie der deutsche Publizist Michael von Prollius nach. Ordnung in die Debatte brachte in souveräner Manier die Ökonomin Agnes Streissler-Führer.
Gouverneur Nowotny geht davon aus, dass die Eurozone vor einer Mischung aus Nachfrage- und Angebotsdeflation steht. Allerdings verweist er darauf, dass die Ausgangslage innerhalb der Eurozone höchst unterschiedlich ist: Während Länder wie Griechenland bereits in einer Deflation stecken, ziehen die Preise in anderen Staaten noch an, wie zum Beispiel in Österreich. Außer Streit steht für Nowotny, dass einer Deflation sehr viel schwerer beizukommen ist als einer Inflation. Etwas überraschend kommt sein Appell, von den Zentralbanken nicht zu viel zu erwarten: „Zentralbanker sind nicht so mächtig wie manche glauben. Ich sehe mich eher als Handwerker. Wir können Wirtschaftspolitik nicht ersetzen und auch die langfristigen Kapitalmarktzinsen nicht beeinflussen“, meint Nowotny. In einer globalisierten Welt seien die Einflussmöglichkeiten generell kleiner geworden, aber das Beispiel der USA mit der Federal Reserve zeige auch, dass jedes Geldwesen eine lenkende Institution brauche.
Eine Sichtweise, die Michael von Prollius nicht teilt. Er hält Zentralbanken für unnötig. „Wir sollten vom Glauben wegkommen, dass ein paar Experten mehr wissen als Millionen von Menschen“. Der Leitzinssatz sollte deshalb nicht behördlich festgesetzt werden, sondern von Angebot und Nachfrage. Angst vor Deflation zu schüren entspreche nur den Interessen der (hoch verschuldeten) Staaten. Es gebe auch keine Spirale ins Bodenlose, jede Krise bereinige sich selbst. „Man darf den Bankrott nicht aus der Marktwirtschaft entfernen.” Von Prollius, Gründer des Forums Ordnungspolitik, brachte das Beispiel des Computerherstellers Hewlett-Packard, wo Arbeitnehmer mit einem geringeren Lohn einverstanden gewesen wären, um das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen. „Aber die Politik hat es nicht erlaubt.“
Das grundlegende Problem in der Debatte ortet von Prollius darin, dass es so etwas wie „das“ Preisniveau gar nicht gebe und daher alle Eingriffe auf einem bloßen statistischen Konstrukt basierten. Seiner Meinung nach hätte die deutsche Regierung auch bei der Wirtschaftskrise zu Beginn der 30er-Jahre nicht intervenieren müssen. Nowotny hält diese Ansicht für abwegig. „Das ist menschenverachtende Politik und führt zu noch größerem Elend. Wesentlich ist, es gar nicht zur Krise kommen zu lassen.”
„Einen Vorschlag zur Güte” unterbreitet Christian Gattiker, Chefstratege der Julius Bär Bank. Zunächst stellt er fest, dass sinkende Preise nichts Schlechtes seien, im Gegenteil. Etwa jene Art der Deflation, die Handys immer billiger macht. In Europa sei derzeit aber auch eine negative Deflation im Gange. Sie treibe nicht wie in den USA die Löhne nach unten, sondern die Arbeitslosigkeit nach oben. In Italien oder Griechenland müsse man sich die Anstellung von Arbeitskräften so gut überlegen wie die Ehe. Der Bund müsse nämlich aufgrund des rigiden Kündigungsschutzes ewig halten. Deshalb sinken im Fall von Auftragsrückgängen auch nicht die Löhne, vielmehr steigt die Arbeitslosigkeit unter den nicht geschützten Jungen. Entscheidend sei nun, dosiert gegen eine Deflation vorzugehen. „Wenn man es falsch macht, kann das schnell in eine kräftige Inflation umschlagen. So wie bei den alten Ketchup-Flaschen: Man dreht sie um und haut hinten drauf. Dann kommt erst mal gar nichts raus, dann aber plötzlich viel zu viel.“
Für Gattiker ist vor allem im Finanzsektor anzusetzen, weil das Bankensystem viel zu groß geworden sei. Entweder gründe man in Europa jetzt eine Bad Bank, bereinigt damit die Strukturen und fängt einen neuen Zyklus an. „Oder wir werden wie Japan“, meint Gattiker. Dort weigere sich die Regierung seit Jahrzehnten, die Überdimensionierung des Bankensektors zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen schiebe das Land das Problem seit 20 Jahren vor sich her. Diesen Fehler solle Europa nicht machen. Worin sich alle am Podium auch einig waren.
Fazit des Abends: Deflation ist nicht gleich Deflation. Und Geldpolitik kann strukturelle Reformen nicht ersetzen.
Trotz der Corona-Krise und der durch die Decke schießenden Inflationsraten gibt es auch eine gute Nachricht: Für viele Dinge des täglichen Bedarfs arbeitet man heutzutage kürzer als noch vor 45 Jahren.
Hören Sie “Eine Frage noch…” auf Apple Podcasts, Spotify und Buzzsprout Wenn die Preise fallen, stört das in der Regel niemanden. Beim Einkaufen suchen wir ja auch nach Sonderangeboten. Aber viele Ökonomen und die Zentralbanken sind sich einig: Deflation ist schlecht. Es braucht Inflation. Steigende Preise. Überall. Gerade ers
Es gibt keine Deflation. Sondern sinkende Inflationsraten. Und das ist auch gut so.
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