Wie Österreich seit 1917 seinen Wohnungsmarkt systematisch ruiniert.

(Über) 100 Jahre Interventionsspirale im österreichischen Wohnungsmarkt

Download PDF

Wie nun weiter? 

Wie gesagt: Wir wissen, was jetzt passieren wird. Für die kommenden Jahre sogar sehr genau: Es wird zu wenige Wohnungen geben. Die Mietpreisbremse kommt nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem ohnehin schon nur noch sehr wenig gebaut wird (vgl. Abbildung 4). Mit der Zinswende 2023 kam der Einbruch. Seitdem werden oft weniger als 10.000 Wohnungen pro Quartal baubewilligt; in den Jahren davor waren es häufig 15.000 und mehr. Das Kind ist also ohnehin schon in den Brunnen gefallen. Alles, was gestern nicht bewilligt wurde, wird heute nicht gebaut und fehlt dann morgen. Die Mieten werden entsprechend weiter steigen. Die Vermieter werden versuchen, die Mietpreisbremse zu unterlaufen, indem sie ausschließlich befristet vermieten, um das Inflationsrisiko zu minimieren. Hier hat die Regierung sogar schon die nächste Drehung der Interventionsspirale vorweggenommen und die Mindestbefristung von drei auf fünf Jahre erhöht. An irgendeinem Punkt folgt dann trotzdem die nächste Intervention; von Zeit zu Zeit bleibt nichts weiter übrig als eine zähneknirschende Liberalisierung. Und dann wieder von vorn. 

So war es die letzten hundert Jahre und gerechter ist der Wohnungsmarkt damit nie geworden. Das harsche Urteil von Luis Bassetti von 1967 hat auch fast 60 Jahre später in weiten Teilen noch Bestand. Große Teile des Marktes haben sich weit von marktgängigen Preisen entfernt. Genossenschafts- und Gemeindewohnungen sind im Schnitt um 30 Prozent günstiger als vergleichbare Wohnungen im freien Markt; bei Richtwert- und Kategoriemieten sind es immerhin noch 13 Prozent (Abbildung 5).[1] Wenn dort nur Bedürftige wohnen würden, wäre dagegen nichts zu sagen. Doch selbst das reichste Viertel der österreichischen Einkommensbezieher wohnt mit Vorliebe zur Richtwertmiete und sogar im Gemeindebau und zahlt dort mehrere Hundert Euro pro Monat weniger, als angemessen wäre. Umgekehrt ist das ärmste Viertel der Bevölkerung genauso oft im freien Markt anzutreffen wie das reichste. 

Da reguliert man und reguliert man und hat dabei stets die besten Absichten! Und am Ende ist es doch reine Glückssache,[2] ob man im österreichischen Wohnungsmarkt einen guten Deal bekommt oder nicht. Der dauerhafte Ausbruch aus dieser Misere kann nur durch eine umfassende Reform gelingen. Eine letzte Reform. 

Eine letzte Reform: Das Vergleichsmietensystem 

Statt jahrhundertelang immer wieder an den Mieten herumzuschrauben und uns dabei immer tiefer zu verstricken, brauchen wir ein System, das die berechtigten Interessen beider Seiten im Blick hat: Vermietern muss zugestanden werden, dass sie mit einer Investition Geld verdienen wollen; Mieter haben ein berechtigtes Interesse daran, dass ihnen die Miete nicht über den Kopf wächst. Der Wohnungsmarkt ist eben kein Markt wie jeder andere; am Ende muss jeder wohnen. Einen vollkommen entfesselten Mietmarkt gibt es daher wohl in keinem entwickelten Land der Welt. Genauso wenig gibt es das eine Land mit dem perfekten Wohnungsmarkt, wo die Mieten niedrig, die Renditen hoch, der Mieterschutz genau richtig und Bürokratie und Rechtsstreitigkeiten vernachlässigbar sind. Die Frage ist immer nur: Wie tariert man die Interessen beider Seiten aus, ohne sich in einer endlosen Interventionsspirale zu verlieren? 

Die Antwort: Mit einem Vergleichsmietensystem. Wir holen die österreichischen Wohnungen aus den vielen regulatorischen Schubladen heraus, in die sie heute einsortiert sind, und legen nur noch eine Regel an: Die Entwicklung der Bestandsmieten muss sich daran orientieren, was für vergleichbare Objekte in vergleichbarer Lage üblich ist. Die Deutschen sagen dazu ortsübliche Vergleichsmiete, die Norweger nennen es gjengs leie, die Franzosen sagen encadrement des loyers, die Niederländer woningwaarderingsstelsel. 

Die Grundlage für die Vergleichsmiete ist ein Mietspiegel, den eine anerkannte Statistikbehörde führt; bei uns wäre das die Statistik Austria. Bei jedem Vermietungsvorgang müssen gewisse Daten dorthin gemeldet werden: Baujahr und Gebäudekategorie, Wohnfläche, Freifläche, Zimmeranzahl, Ausstattung (Art der Küche, Bad, Balkon, Lift, Energiestandard, Heizung usw.). Dazu Beginn und Dauer des Mietverhältnisses, Straße und Postleitzahl sowie natürlich der monatliche Nettomietzins pro Quadratmeter. Mithilfe einfacher und anerkannter statistischer Methoden lässt sich nun für jede Wohnung die relevante Vergleichsmiete bestimmen. Berücksichtigt werden dabei Neumieten und geänderte Bestandsmieten der letzten vier Jahre. 

Wie genau funktioniert nun die Kompromissmaschine namens Vergleichsmietensystem? Jede Neuvermietung ist erst einmal frei. Es darf verlangt werden, was der Markt eben hergibt. Dieser Punkt schmeckt natürlich den Vermietern. Die potenziellen Mieter werden zwar über manche Mietannonce die Nase rümpfen, doch sind sie erst einmal eingezogen, arbeitet das Vergleichsmietensystem eher für sie. Die Mieterhöhungen im Bestand sind dann nämlich mit der relevanten Vergleichsmiete gedeckelt. Und die entwickelt sich aus zwei Gründen eher träge:[3] Erstens, da sie Tausende Mietmeldungen der letzten vier Jahre abbildet und daher nicht zu Sprüngen neigt. Und zweitens, weil sie auch geänderte Bestandsmieten miteinbezieht, die ja ihrerseits schon mit der Vergleichsmiete gedeckelt sind. Die relevante Vergleichsmiete liegt also immer unter dem aktuellen Marktpreis. 

Wie würden sich alle Beteiligten von so einem System überzeugen lassen? Fangen wir mit den Mieterschützern an: Sie argumentieren häufig, dass die aktuelle Indexierung mit der Inflation wenig sinnvoll sei, weil hohe Energiepreise in den letzten Jahren die Teuerung getrieben haben und die Mieter am Ende hohe Stromrechnungen zu zahlen hatten, die ironischerweise gleichzeitig der Grund dafür waren, dass die Vermieter die Mietzinse anheben durften. Wir lassen dahingestellt sein, ob dieses Argument sehr sinnvoll war; jedenfalls ist es nun vom Tisch. Es entfallen auch umständliche Mietzinsüberprüfungen nach dem Mietrechtsgesetz. Die einschlägige Vergleichsmiete lässt sich auf Knopfdruck ermitteln. Vorbei die Zeiten, in denen Lagezuschläge mehr oder weniger ausgewürfelt wurden und nicht selten für faustdicke Überraschungen sorgten, wenn benachbarte Wohnungen plötzlich um mehrere Euro pro Quadratmeter auseinanderlagen. Genau genommen ist das Vergleichsmietensystem nicht nur eine Mietpreisbremse; im Bestand ist es sogar ein Deckel. 
Warum sollten sich Vermieter nun darauf einlassen? Sie verlieren zwar die automatische Wertsicherung, dafür erhalten sie aber die Möglichkeit, ihre Wohnungen marktgerecht zu bepreisen. Die Miete darf regelmäßig an die Vergleichsmiete angepasst werden. Wer Wohnungen im Angebot hat, die am Markt nachgefragt werden, der wird gute Preise bekommen. Alle anderen nicht; auch sinkende Mieten sind theoretisch möglich, wenn eine Kategorie nur noch schwach nachgefragt wird. Eine dauerhafte Marktferne ganzer Segmente, so wie derzeit, wird es jedenfalls nicht mehr geben. Auch weil natürlich die absurden Weitergaberechte von Mietverträgen an Verwandte abgeschafft werden müssten, die Vermieter jahrzehntelang in bestehenden Verträgen gefangen halten und sie der Interventionsspirale der Mietpreisregulierung aussetzen. Auch Sanierungen werden unmittelbar belohnt, wenn der Markt dafür eine Prämie hergibt. Wer den Energiestandard durch eine thermische Sanierung erhöht, der darf die Wohnung nun mit Wohnungen vergleichen, die ebenfalls über diese moderne Ausstattung verfügen und daher teurer sind. 

Im freien Markt wird das Vergleichsmietensystem bald für Entspannung sorgen. Eines ist aber auch klar: Für viele Mieter in Österreich würde es mit einem Vergleichsmietensystem teurer. Den Übergang vernünftig zu organisieren, wird eine Herausforderung sein – soziale Härten sollten zum Beispiel durch einen umfassenden Umstieg von der Objekt- auf die Subjektförderung abgefangen werden. Aber dass die Mieten vor allem dort steigen, wo heute wenige Hundert Euro für große Wohnungen in besten Lagen bezahlt werden, weil die liebe Omi noch einen Mietvertrag von anno dazumal hatte, ist unvermeidlich. Denn dass die österreichischen Mieter heute nur 23 Prozent des verfügbaren Einkommens zahlen müssen, kommt ja nicht ohne Kosten daher. Sie sind nur versteckt: Versteckt im milliardenschweren Schuldenberg von Wiener Wohnen; versteckt in Hunderttausenden Altbauwohnungen, die bei den aktuellen Mieten auch in hundert Jahren nicht klimagerecht saniert sein werden; versteckt in haarsträubenden Fehlbelegungen und ellenlangen Wartelisten; versteckt in einem „freien“ Markt, der den gesamten Nachfrageüberhang auffangen soll, weil in den großen, staatlich organisierten Segmenten nicht mehr viel gebaut wird, und von den unglücklichen Mietern gut und gern 30 Prozent der verfügbaren Einkommen verlangt. Irgendwann werden wir der Realität ins Auge sehen müssen. Warum nicht jetzt? 
Die Einführung eines Vergleichsmietensystems wäre natürlich eine Angelegenheit, die mit Übergangsfristen einhergehen muss und daher ein paar Jahre brauchen wird. Wenn es aber erst den Wohnungsmarkt vom Kopf auf die Füße gestellt haben wird – sagen wir, in 50 Jahren –, dann wird man auch das noch abschaffen können. Erst dann werden wir von einem wirklichen Wohnungsmarkt sprechen können. 


Fußnoten

  1. Diese Grafik stammt aus einer unserer Arbeiten von 2024: https://www.agenda-austria.at/publikationen/sozialer-wohnbau-das-vermoegen-der-gar-nicht-so-kleinen-leute/
  2. Wenn Wohnungen von Behörden zugeteilt werden, kommt langfristig oft ein Ergebnis heraus, das man auch mit dem Würfelbecher hinbekommen hätte; vgl. z. B. Van Ommeren & Van der Vlist (2016).
  3. Vgl. z. B. Schardt (2012).
"Grafik der Woche" abonnieren

Jetzt anmelden und jeden Montag die beliebte Grafik der Woche mit erhellenden Daten, Fakten und aktuellen Analysen aus Wirtschaft und Politik erhalten.

Immer up-to-date

GRAFIK DER WOCHE & NEWSLETTER

Wissen, was passiert: Unsere "Grafik der Woche" bekommen Sie pünktlich jeden Montag, außerdem informieren wir Sie über aktuelle Events, Vorträge, Themen in unserem Umfeld.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google reCAPTCHA. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Mit dem Absenden des Formulars nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Datenschutzhinweise und Cookiebestimmungen

NEWSLETTER
Vielen Dank für Ihre Anmeldung! Sie erhalten nun eine Bestätigungs-E-Mail (bitte prüfen Sie auch Ihren Spam-Ordner) mit einem Link zur Bestätigung der Anmeldung.
Sollte sich Ihre E-Mail-Adresse bereits in unserem System befinden, erhalten Sie stattdessen eine E-Mail mit einem Link um Ihre Einstellungen anzupassen.

Immer up-to-date

ANMELDUNG ZU VERANSTALTUNGEN

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google reCAPTCHA. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Mit dem Absenden des Formulars nimmst Du die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Datenschutzhinweise und Cookiebestimmungen

ANMELDUNG ZU VERANSTALTUNGEN
Vielen Dank für Deine Anmeldung! Du erhältst nun eine Bestätigungs-E-Mail (bitte prüfe auch Deinen Spam-Ordner) mit einem Link zur Bestätigung der Anmeldung.
Sollte sich Deine E-Mail-Adresse bereits in unserem System befinden, erhältst Du stattdessen eine E-Mail mit einem Link um Deine Einstellungen anzupassen.

Immer up-to-date

Jetzt zum Newsletter anmelden
und ein kostenloses Exemplar der Grafiksammlung erhalten!

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google reCAPTCHA. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Mit dem Absenden des Formulars nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Datenschutzhinweise und Cookiebestimmungen

NEWSLETTER
Vielen Dank für Ihre Anmeldung! Sie erhalten nun eine Bestätigungs-E-Mail (bitte prüfen Sie auch Ihren Spam-Ordner) mit einem Link zur Bestätigung der Anmeldung.
Sollte sich Ihre E-Mail-Adresse bereits in unserem System befinden, erhalten Sie stattdessen eine E-Mail mit einem Link um Ihre Einstellungen anzupassen.

Immer up-to-date

ANMELDUNG ZU NEWSLETTER & VERANSTALTUNGEN

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google reCAPTCHA. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Mit dem Absenden des Formulars nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Datenschutzhinweise und Cookiebestimmungen

ANMELDUNG ZU NEWSLETTER & VERANSTALTUNGEN
Vielen Dank für Ihre Anmeldung! Sie erhalten nun eine Bestätigungs-E-Mail (bitte prüfen Sie auch Ihren Spam-Ordner) mit einem Link zur Bestätigung der Anmeldung.
Sollte sich Ihre E-Mail-Adresse bereits in unserem System befinden, erhalten Sie stattdessen eine E-Mail mit einem Link um Ihre Einstellungen anzupassen.

Immer up-to-date

ANMELDUNG ZU NEWSLETTER & VERANSTALTUNGEN

Zum abschicken muss mindestens eines der Angebote ausgewählt werden.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google reCAPTCHA. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Mit dem Absenden des Formulars nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Datenschutzhinweise und Cookiebestimmungen

ANMELDUNG ZU NEWSLETTER & VERANSTALTUNGEN
Vielen Dank für Ihre Anmeldung! Sie erhalten nun eine Bestätigungs-E-Mail (bitte prüfen Sie auch Ihren Spam-Ordner) mit einem Link zur Bestätigung der Anmeldung.
Sollte sich Ihre E-Mail-Adresse bereits in unserem System befinden, erhalten Sie stattdessen eine E-Mail mit einem Link um Ihre Einstellungen anzupassen.

Agenda Austria – der erste unabhängige Thinktank Österreichs.

Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.

Lernen Sie uns kennen