Lohnverhandlungen: Wie Österreich zum kranken Mann Europas wurde.

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Was nun zu tun ist

Es ist nicht die Aufgabe des Staates, in Lohnverhandlungen einzugreifen. Ganz im Gegenteil: Er soll sich tunlichst heraushalten. Politikempfehlungen im engeren Sinne kann es daher eigentlich gar nicht geben. Unsere Empfehlungen richten sich vor allem an die Verhandlungspartner auf beiden Seiten. Die Richtigen werden sich dann hoffentlich angesprochen fühlen.

Sich selbst nicht so wichtig nehmen

Der Staat hat sich in den letzten Jahren etwas angewöhnt, das er sich schleunigst wieder abgewöhnen sollte: Er hat die Lohnführerschaft übernommen. Besonders drastisch zeigte sich das Ende 2023. Während es bei den Tarifverhandlungen der Metaller und im Einzelhandel noch kräftig knirschte, schaffte der öffentliche Dienst einfach Tatsachen und erhöhte die Löhne der Beamten zum ersten Jänner 2024 nonchalant um über neun Prozent (vgl. Abbildung 7). Höhe und Timing des Abschlusses waren beispiellos. Die zarten Diskussionen über steuerfreie Einmalzahlungen, um das Lohnplus in der gewerblichen Wirtschaft wenigstens ein bisschen im Zaum zu halten, waren mit einem Schlag vom Tisch. Und 2024 wiederholte sich das Schauspiel, als man gleich für zwei Jahre klarstellte, dass öffentlich Bedienstete in Österreich über den Dingen zu stehen und mit Reallohnkürzungen nichts zu tun haben. Ein Schlag ins Gesicht für alle Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft, deren Jobs durch diese Entscheidung aufs Spiel gesetzt wurden. Durch die automatische Valorisierung der Sozialleistungen, die man mit dem Jahr 2023 einführte, erhöhte der Gesetzgeber sogar noch den impliziten Mindestlohn.

Der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen. Die Löhne der Beamten müssen der gewerblichen Wirtschaft folgen, von der sie leben. Nicht umgekehrt.

Abbildung 7: Lohnführerschaft

Ein Beispiel an anderen Ländern nehmen

Während in Österreich der Staat die Lohnführerschaft übernommen hat, haben andere Länder schon vor langer Zeit Maßnahmen gesetzt, die genau das verhindern sollen. Schließlich fällt es dem Minister für den öffentlichen Dienst (derzeit Vizekanzler Andreas Babler) als Verhandlungspartner der Arbeitgeberseite leicht, höhere Lohnabschlüsse durchzuwinken. Er zahlt die Löhne ja nicht aus seiner eigenen Tasche. Doch vor allem die exportorientierte Wirtschaft leidet unter zu hohen Lohnabschlüssen, wenn die dafür nötigen Preise in anderen Ländern gar nicht durchzusetzen sind.

In Schweden ist man intelligenter. Dort haben sich schon vor Jahrzehnten mehrere Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände der exportorientierten Wirtschaft zu einem Industrievertrag zusammengeschlossen (dem sogenannten Industriavtalet). Weil sie es sind, die ihre Produkte an den Weltmärkten unterbringen müssen, verhandeln sie vor allen anderen und setzen die Benchmark (das sogenannte Märket) für alle anderen Branchen. Mit etwas gutem Willen ließe sich dieses Modell auch in Österreich durchsetzen. Die Gewerkschaften müssten dafür aber stärker zusammenarbeiten; dasselbe gilt für die betreffenden Fachverbände in der Wirtschaftskammer. Die Tarifbindung liegt übrigens auch in Schweden bei über 90 Prozent.[1]

Selbst Verantwortung übernehmen

Seit Corona scheint es selbst für stolze Unternehmer keine Schande mehr zu sein, nach dem Staat zu rufen. Vielleicht wäre es aber an der Zeit, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen. Schließlich sind es die Unternehmer, die die Kollektivverträge abgeschlossen haben, über deren Kosten sie sich nun beschweren. Statt sich vor den Gewerkschaften wegzuducken und sich dann hinterher bei der Politik über die wegbrechende Wettbewerbsfähigkeit zu beschweren, sollte man besser erklären, warum bestimmte Erwartungen derzeit nicht erfüllbar sind. Streiks muss man dabei riskieren. Mag sein, dass man Angst vor der Kriegskasse der Gewerkschaften hat (und den fast unbegrenzten Ressourcen ihrer großen Schwester, der Arbeiterkammer), aber was für ein schlechter Verhandler ist man, wenn einem schon bei der Begrüßung der Angstschweiß auf der Stirn steht? Und auch die Wirtschaftskammer – so munkelt man – verfügt schließlich über fürstliche Rücklagen.

Die Politik könnte hier übrigens tatsächlich etwas Sinnvolles beitragen: Sie könnte den Spielraum für Lohnverhandlungen auf Betriebsebene eröffnen. In kaum einem Land der westlichen Welt werden Löhne schließlich zentralistischer verhandelt als in Österreich. In Haustarifverträgen, die in vielen Ländern (zum Beispiel in Deutschland) völlig normal sind, könnten Betriebe höhere oder niedrigere Abschlüsse finden, die zur wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Betriebes passen. Dazu wären aber gesetzliche Änderungen erforderlich. Vor allem die Pflichtmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer müsste entfallen. Eine Forderung, die wir von der Agenda Austria schon oft erhoben haben (gilt analog natürlich für die Arbeiterkammer).[2] Wer Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft sein muss, kommt aus dem jeweiligen Kollektivvertrag nicht heraus. Haustarifverträge können bislang nur Add-ons sein. Dass die österreichische Papierindustrie im Mai zu einem Abschluss gelangt ist, der die wirtschaftliche Lage des jeweiligen Betriebes berücksichtigt, ist immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung.[3]

Die Gewerkschaftsidee neu entdecken

Gewerkschaften würden gegen Haustarifverträge natürlich buchstäblich auf die Barrikaden gehen. Nicht weil sie das Beste für die Arbeitnehmer im Sinn haben, sondern aus bloßem Machtkalkül. Gewerkschaften machen naturgemäß Politik für „unsere Leit“. Ökonomen nennen das Insider-Outsider-Problem: Indem der Fokus nur darauf liegt, die Bedingungen für die Insider immer weiter zu verbessern, wird das Leben für die Outsider immer schwerer. Wir kennen das aus dem Wohnungsmarkt: Je strenger die Mieten reguliert sind, desto angenehmer ist das für alle, die schon eine günstige Wohnung haben. Doch für jene, die noch eine Bleibe suchen, wird es schwerer, weil nichts mehr gebaut wird. Auch die Freude über Spritpreisbremsen ist weiter hinten in der Warteschlange eher getrübt. Im Arbeitsmarkt ist das nicht anders. Hier gibt es zum Beispiel das Senioritätsprinzip, das aus vielen Kollektivverträgen nicht wegzudenken ist. Die pauschale Vorrückung in der Gehaltstabelle mit steigender Betriebszugehörigkeit (oft bei Anrechnung von Vordienstzeiten) ist wieder so ein „one-size-fits-all“-Element, das sich in Österreich festgesetzt hat, das aber längst nicht in allen Branchen gut funktioniert. Ältere müssen mehr bezahlt bekommen als ihre jüngeren Kollegen; selbst gegen ihren Willen und selbst dort, wo ihre Erfahrung eine höhere Entlohnung gar nicht rechtfertigt. Und dann heißt es wieder, die Älteren würden hinausgedrängt oder gar nicht erst eingestellt. Schuld ist das Senioritätsprinzip, an dem die Gewerkschaften aber hängen, weil sie es sich mit ihren langjährigen Mitgliedern nicht verscherzen wollen.

Gewerkschaften wollen keine individuellen Lösungen. Doch flächendeckende Kollektivverträge erweisen vielen Menschen einen Bärendienst. Sie erhalten sterbende Branchen künstlich am Leben, indem die Löhne eine Produktivitätsentwicklung suggerieren, die gar nicht mehr existiert. So werden Beschäftigte in ihren Arbeitsplatzentscheidungen, ja sogar in ihren Berufswahlentscheidungen, auf falsche Fährten geführt und fehlen dann dort, wo sie eigentlich dringender gebraucht würden.

Man kann nur verteilen, was erwirtschaftet wurde

Eingangs haben wir davon gesprochen, dass alle führenden Ökonomen in Österreich zu Lohnzurückhaltung aufrufen. Wir entschuldigen uns. Das war leider gelogen. ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth sieht das nämlich anders. Sie hat auf orf.at jüngst mitgeteilt, dass Löhne ja eine „Doppelfunktion“ hätten:[4] Die einen müssten sie zwar zahlen, aber die anderen bekämen sie ja schließlich. Sie suggeriert, dass die Unternehmen nur endlich mehr zahlen müssten, damit die Kaufkraft steigt, die Leute wieder kräftig konsumieren und die Wirtschaft goldenen Zeiten entgegengeht. Das perpetuum mobile, es existiert! Diese Argumentation verschweigt natürlich kunstvoll die Sparquote der Haushalte von derzeit fast zwölf Prozent.[5]

Man kann nur verteilen, was erwirtschaftet wurde. Nicht umgekehrt. Damit wir in Österreich auch in Zukunft steigende Reallöhne haben und sie uns auch leisten können, muss der Wirtschaftsmotor wieder in Schwung kommen. Im Regierungsprogramm finden sich viele tolle Absichtserklärungen. Von einem Abbau der Bürokratie ist wieder einmal die Rede. Auch bei den Arbeitskosten soll angesetzt werden; allerdings nur, wenn das Budget mitspielt. Das Blöde ist: Das tut es nur, wenn man das Land modernisiert. Weder eine echte Pensions- noch eine Föderalismusreform ist aber von der amtierenden Regierung zu erwarten. Stattdessen hofft man darauf, dass von der deutschen Ausgabenbonanza etwas zu uns heruntertröpfelt oder dass Trump ein Ökonomiebuch liest und den Handelskrieg beendet. Beides ist schwach.

Die aktuelle Prognose der EU-Kommission[6] führt uns als einziges Land in Europa ohne Wachstum. Das deutet auf hausgemachte Probleme hin, die wir in Wien lösen müssen; nicht in Brüssel, Berlin oder Washington. Ein oder zwei sachdienliche Hinweise hätten wir:[7] Um das Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen, könnten wir – so einfach ist das manchmal – länger arbeiten. Dadurch erhöht sich die Produktivität pro Beschäftigten. Hilfreich wären dafür steuerliche Anreize, denn derzeit belohnt das Steuersystem eher Teilzeitarbeit. Kaum irgendwo in Europa lohnt es sich noch weniger, auf Vollzeit aufzustocken. Eine Flat Tax wäre eine gute Idee, bei der der nächste Euro genauso hoch besteuert wird, wie der vorhergehende. Die Produktivität pro Stunde zu erhöhen, ist schon etwas schwieriger. Dafür brauchen wir Investitionen in Forschung und Entwicklung und endlich einen starken Kapitalmarkt, in dem private Gelder für riskante aber potenziell lohnende Unterfangen zur Verfügung stehen. Die EU bleibt die angekündigte Kapitalmarktunion leider schuldig. Aber Österreich könnte mit steuerlichen Anreizen für Investoren und der steuerlichen Gleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital schon viel erreichen. Auch ein Dachfonds nach dänischem Vorbild würde helfen, der für hochriskante Venture-Capital-Investitionen in Start-ups zur Verfügung steht. Beim Problemkreis Digitalisierung könnte ein Blick nach

Estland helfen. Das Land hat gezeigt, wie digitalisierte Verwaltungen mit weniger Beschäftigten bessere Dienstleistungen anbieten können. Auch im Bildungsbereich lohnt der Blick nach Nordeuropa. Bei Bürokratie und Überregulierung hilft aber wohl nur noch die Kettensäge.

Eine Volkswirtschaft, die nicht mehr wächst, weil sie kein Produktivitätswachstum mehr hinbekommt, wird sich in Verteilungskämpfen verzetteln. Und am Ende verlieren alle. Wie sagte schon Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman: „Produktivität ist nicht alles, aber auf lange Sicht ist sie fast alles.“[8]


Fußnoten

  1. Vgl. Daniels und Fürst, 2023.
  2. https://www.agenda-austria.at/publikationen/oesterreichs-kammern/oesterreich-ist-ein-kammernstaat/
  3. https://kurier.at/wirtschaft/kollektivvertraeg-papierindustrie-nulllohnrunde/403043190
  4. https://orf.at/stories/3392719/
  5. https://www.statistik.at/statistiken/volkswirtschaft-und-oeffentliche-finanzen/volkswirtschaftliche-gesamtrechnungen/nichtfinanzielle-sektorkonten
  6. Vgl. Europäische Union, 2025.
  7. Siehe auch hier: https://www.agenda-austria.at/der-plan-a-fuer-oesterreich/
  8. Krugman (1997, S. 11), übersetzt durch den Verfasser.
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