Innenpolitik

Wenn der Föderalismus baden geht.

Über Gemeindefinanzen und Prioritäten.

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Arm, aber sexy[1]

Der Stabilitätspakt verpflichtet die Gemeinden dazu, über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen zu haushalten. Doch selbst tief verschuldete Gemeinden lassen sich in der Praxis nur sehr bedingt zwingen, ihre Ausgaben zu kürzen. Obwohl es formal klare Budgetgrenzen gibt und den Ländern eine Aufsichtspflicht hinsichtlich der Gemeindefinanzen obliegt, können die Akteure in den Rathäusern beruhigt sein, dass sie im Krisenfall immer gerettet werden.[2] Am Ende läuft es auf Sonderzahlungen, Umschuldungshilfen oder Ad-hoc-Förderungen hinaus. Eine glaubwürdige No-Bailout-Regel existiert nicht.

Wie tief eine Gemeinde im Schuldensumpf steckt, spielt im Alltag daher kaum eine Rolle. Oder haben Sie schon mal von einem Fall gehört, bei dem Familien aus ihrer Gemeinde wegziehen mussten, weil sie pleite war? Es ist sogar gängige Rechtsauffassung, dass eine Exekution gegen Gemeindevermögen praktisch kaum möglich wäre.[3] Im schlimmsten Fall schließt vielleicht das Schwimmbad – eine häufige Drohung in Finanzausgleichsverhandlungen. Ein Bürgermeister wird vielleicht abgewählt; den Scherbenhaufen räumen dann aber Bund und Länder weg. Und wenn stromaufwärts sogar die eigenen Parteifreunde sitzen, dann fließen die Hilfen gleich nochmal lockerer.[4] So etabliert sich eine Kultur des Durchreichens von Problemen. Der nächste Rettungsschirm kommt bestimmt. Die Folge ist eine systematische Verzerrung des wirtschaftlichen Verhaltens. Investitionen werden risikofreudiger, das Kostenbewusstsein schwindet. Das gefürchtete Moral Hazard tritt zutage. Ein Mietwagen fährt sich halt auch viel sportlicher, wenn man die Versicherungsoption ohne Selbstbehalt angekreuzt hat.

Doch manchmal trotzt das Geld im österreichischen Föderalismus sogar der Schwerkraft und fließt von unten nach oben (vgl. Abbildung 6). Die Gemeinden zahlen zum Beispiel eine Landesumlage – eine Art Schutzgeld dafür, dass sie in dem jeweiligen Bundesland existieren dürfen. Das ist derzeit über eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Mehr als eine Milliarde Euro überweisen sie an ihre jeweilige Landeshauptstadt, von wo aus dieses Geld in Form von Bedarfszuweisungen an finanzschwächere Gemeinden umverteilt wird; das Ausmaß an Gutsherrenart variiert dabei von Bundesland zu Bundesland. Dazu kommen Umlagen an Gemeindeverbände, zum Beispiel für den Betrieb gemeinsamer Schulen. Und dann gibt es noch Umlagen an die Länder für Krankenanstalten und Soziales. Wenn den Ländern die Kosten für ihre Krankenanstalten über den Kopf wachsen, dann greifen sie den Gemeinden in die Taschen, die zwar mitzahlen müssen, aber inhaltlich nichts zu sagen haben.

Und deshalb ist das Narrativ modern geworden, dass die Gemeinden nur deshalb nicht mehr auf einen grünen Zweig kommen, weil die Länder ihnen immer mehr Geld abknöpften. Und tatsächlich sind die Abflüsse (in Abbildung 6 blau markiert) in letzter Zeit prozentuell stärker gestiegen als die Zuflüsse (grün markiert). Wären sie seit 2017 genauso stark gestiegen wie die Zuflüsse, dann hätten die Gemeinden (ohne Wien) im Jahr 2023 rund 150 Millionen Euro mehr zur Verfügung gehabt. Das kann man nun für viel oder wenig halten, doch ein gewaltiges Defizit hätte sich insgesamt immer noch zu Buche geschlagen. Und außerdem: Was wäre denn die Alternative? Wären die Gemeinden für Gesundheit künftig selbst verantwortlich, dann käme sie das wohl kaum günstiger. Doch natürlich sind auch die Länder nicht gerade Effizienzbestien beim Ausgeben des Geldes, das sie von oben und unten zugesteckt bekommen. Dass die Gemeinden das ärgert, ist doch klar. Oft erfahren sie erst beim Blick auf den Kontoauszug, wie viel das Land von ihren Ertragsanteilen einbehalten hat. Seriös planen kann man so nicht. Und wieso kriegt die Nachbargemeinde eigentlich Bedarfszuweisungen, obwohl doch alle wissen, dass der Bürgermeister trinkt?

Zu- und Abflüsse der Gemeinden (ohne Wien), in Milliarden Euro

Abb. 6: Wie das Geld zwischen Gemeinden, Bund und Ländern fließt

Und schon sind wir mitten in einer typischen Diskussion über den österreichischen Fiskalföderalismus, in der irgendwie niemand ganz Unrecht hat und doch alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Eine Diskussion, die nirgendwo hinführt. Es ist, als hätten Sie zwei Chefs: Der eine verteilt die Aufgaben, der andere das Geld. Die beiden tun das auf der Grundlage einer Idee von 1948 und treffen sich nur kurz alle zwei Jahre. Wie Sie dabei am Ende aussteigen? Glückssache.


Fußnoten

  1. Dieses unbesorgte Bonmot prägte der ehemalige Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit.
  2. Ökonomen nennen das „weiche Budgetbeschränkung“, vgl. z.B. Kornai et al., 2003.
  3. https://gemeindebund.at/koennen-gemeinden-in-konkurs-gehen/
  4. In der ökonomischen Literatur nennt man das Partisan Alignment; vgl. z.B. Sollé-Ollé & Sorribas-Navarro, 2008 oder Johansson, 2003.
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