Franz Schellhorn spricht über fehlende Eigenverantwortung, den wachsenden Einfluss des Staats und den aufkommenden Förderneid, der nur noch vom Reichenneid übertroffen wird. Seine Bilanz der Krisenbewältigung fällt nicht sehr positiv aus. Vor allem in der Verwaltung und in der Bildung ortet er schwere Mängel und Missstände.
Der Staat hat so gut wie alles übernommen, die Eigenverantwortung ist endgültig an ihn abgegeben worden. Klingt nach schweren Zeiten für den Chef der Agenda Austria.
Franz Schellhorn: Die Eigenverantwortung in Österreich abzugeben ist für viele schwierig, denn dazu müsste sie überhaupt vorhanden sein. Sie wurde in diesem Land de facto nie eingeführt. Aber tatsächlich hat der Staat mittlerweile eine wesentlich stärkere Rolle als vorher. Und das soll was heißen.
Vermutlich muss sich die Agenda Austria darauf einstellen, dass der dominierende Staat nach der Krise bleiben wird.
Unsere Aufgabe wird wohl größer und sicher nicht leichter sein. Denn der allmächtige Staat wird zudem von der Politik des billigen Geldes gestützt. Die Regierungen dürfen sich das Geld zum Nullzins bei der Europäischen Zentralbank abholen. Damit werden alle strukturellen Probleme zugekleistert. Im Übertünchen von Problemen ist Österreich immer schon gut gewesen. Eine der größten Gefahren dieser Krise ist, dass es danach zu keinerlei Reformen kommen wird. Das werden unsere Kinder schwer zu spüren bekommen.
Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung? Etwa die Kurzarbeit, die mittlerweile schon sehr lang dauert.
Die Kurzarbeit war zu Beginn der Pandemie das richtige Instrument. Wir haben dieses Modell deshalb auch befürwortet. Aber sie ist für einen kurzen Übergang gedacht, nicht über viele Monate hinweg. Man hat mit der Kurzarbeit zwar die Kaufkraft der Arbeitnehmer gut gesichert, die verfügbaren Haushaltseinkommen sind nur leicht gesunken. Mit dem Zwangssparen aufgrund der geschlossenen Geschäfte sind die Sparquoten sogar leicht gestiegen. Aber die Kurzarbeit hat natürlich langfristige Folgen.
Welche?
Wir sehen ja bereits, dass die Kurzarbeit Menschen eher dazu animiert, weniger zu arbeiten. Es ist schließlich egal, ob man 30 oder 60 Prozent arbeitet, man bekommt das gleiche Gehalt. Selbst für Unternehmen bietet die Kurzarbeit den Anreiz, eher nicht aufzusperren. Deshalb dürfen wir uns auch nicht über die schlechten Wirtschaftsdaten wundern.
Unternehmer lehnen also eher Aufträge ab, als Förderungen zu verlieren.
Das ist der Preis für diese Absicherung. Das war zu Beginn der Krise richtig. Aber wir plädieren nun für einen sukzessiven Ausstieg aus der Kurzarbeit. Denn sie verursacht mittlerweile auch große Schäden, nicht zuletzt in der Psyche der Betroffenen.
Würden Sie die Kurzarbeit auch im Lockdown zurückfahren?
Nein, im Lockdown soll die Kurzarbeit natürlich weitergehen, aber danach wird es eine Rückkehr zur Normalität geben müssen. Man sollte dann die Kurzarbeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer weniger attraktiv machen.
Finanzminister Blümel führt die schlechten Konjunkturzahlen auf Österreichs Abhängigkeit vom Tourismus zurück. Ist das der Hauptgrund, oder steckt da mehr dahinter?
Die Abhängigkeit im Tourismus ist natürlich ein wichtiger Punkt. Vor allem ist der Dezember einer der wichtigsten Monate – besonders in Wien, Salzburg und Tirol. In Wien etwa gibt es im Dezember nach dem August die zweitmeisten Nächtigungen. Das ist auch vielen Politikern nicht bewusst. Aber der Tourismus allein erklärt diesen Absturz der Wirtschaftsleistung nicht.
Warum stand Österreich also im Winterquartal schlechter als andere Länder da?
Neben dem Tourismus schlägt sich auch der strenge Lockdown nieder. Österreich hat im Herbst leider sehr viel Zeit verspielt und musste dann ausgerechnet im Dezember in einen sehr strengen Lockdown. Zudem waren die Infektionen in Österreich vergleichsweise hoch. Es sind also sehr viele Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen. Und schließlich ist die Kurzarbeit so attraktiv, dass sie bereits wirtschaftsbremsend wirkt.
Sollte man im Handel, der ja wieder offen hat, die Kurzarbeit einstellen?
Man sollte Kurzarbeit zu den jetzigen Bedingungen nur noch dort erlauben, wo der Staat zusperrt. In anderen Branchen soll nur noch der tatsächliche Arbeitsausfall entschädigt werden.
Verschiedene Regelungen etwa beim Umsatzersatz werden von manchen als ungerecht empfunden. Teilen Sie diese Meinung?
Es gibt keine Krise ohne Ungerechtigkeit. Eine dieser Ungerechtigkeiten ist etwa, dass Betriebe gestützt werden, die vor der Krise bereits kaputt waren. Aber das ist der Preis dafür, dass so vielen funktionierenden Unternehmen wie möglich geholfen wird. Mit diesen Ungerechtigkeiten muss man leben.
Dass der Umsatzersatz etwa in der Gastronomie höher ausfiel als in anderen Branchen, ist in Ordnung?
Dass man hier stark auf die Gastronomie und den Tourismus geschaut hat, ist verständlich. Die Bilanzen in dieser Branche werden trotzdem katastrophal sein. Es wird eine Handvoll Betriebe geben, die gut dastehen, der Rest wird blutrote Zahlen schreiben. Am schlimmsten werden die Verluste bei den Liftbetreibern sein. Ihnen gegenüber ist der Neid bekanntlich groß. Aber abgesehen von kleinen Skigebieten in der Nähe von Ballungszentren wird das ein Verlustjahr der Sonderklasse.
Neid ist in Österreich nicht ganz unbekannt. Viel ist vom Impfneid die Rede.
Ja, und es gibt natürlich auch den Förderneid. Aber eine Krise wie diese ohne Ungerechtigkeiten bestreiten zu wollen, ist illusorisch.
Förderneid statt Unternehmerneid also?
Der Unternehmerneid wurde abgelöst vom Förderneid. Nur der Reichenneid ist größer. Anstatt darüber nachzudenken, was man von erfolgreichen Unternehmen lernen kann, diskutiert man, wie man den Reichtum der Reichen minimieren kann. Neid gehört leider zu unserer Kultur in Österreich.
Aber Krisen sorgen für mehr Gleichheit.
Ja. Deshalb war die Gleichheit nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns am größten. Die schwerste Krise nach dem Krieg ist auch nicht jetzt, sondern war zwischen 1945 und 1955. Viele in diesem Land übersehen gern, dass es uns allen mittlerweile besser geht. Aber sie halten es dennoch nicht aus, dass darunter einige wenige sind, denen es um vieles besser geht.
Viel ist von einer möglichen Pleitewelle die Rede, die nur verzögert, nicht verhindert werden kann. Ist das so?
Da sind wir wieder bei dieser Vollkaskomentalität, die ja einer der größten Bremser ist. Sie schlägt mittlerweile auch auf Unternehmer durch. Der Staat kann nicht jeden Job retten, und er kann auch nicht jedes Unternehmen vor der Pleite bewahren. Natürlich wird es zu einer Bereinigung kommen. Und je länger man diese hinauszögert, umso schlimmer wird sie und umso schlimmer werden die Folgen sein.
Warum ist es ein Problem, die Folgen der Krise zu entzerren, nicht alle Hilfen auf Knopfdruck auslaufen zu lassen?
Von Knopfdruck ist ja keine Rede. Aber wir haben die Wahl zwischen einer Rückkehr zur Normalität und einem italienischen Szenario.
„Italienisches Szenario“ heißt was?
In Italien hat es bereits vor der Pandemie eine zombifizierte Wirtschaft gegeben. Unternehmen konnten nicht in die Pleite geschickt werden, weil sonst die Banken ein Problem bekommen hätten. Die Folge war eine stark rückläufige Produktivität der Gesamtwirtschaft. Das muss in Österreich unter allen Umständen verhindert werden. Wir müssen wieder auf den Wachstumspfad zurückfinden. Denn diese Krise hat eines klar gezeigt: Die Illusion vom Wohlstand ohne Wachstum ist demaskiert. Wir sehen, welchen Anblick die Welt ohne Wachstum bietet. Es ist kein schöner Anblick.
Aber gibt es überhaupt ein breites Bewusstsein dafür, dass diese Gesundheitskrise auch eine Wohlstandskrise ist?
Das ist vermutlich die größte Gefahr dieser Krise. Man ist in eine Scheinwelt abgetaucht, aus der man schwer herausfinden wird.
Wie bewerten Sie die gesundheitspolitische Reaktion auf diese Krise?
Darauf kann ich jetzt nur als Staatsbürger antworten, weil ich ja kein Virologe bin. Ich finde, dass Österreich den ersten Lockdown gut gemeistert hat, dass es damals auch eine klare Kommunikation der Regierung gegeben hat. Mittlerweile muss man eine sehr nüchterne Bilanz ziehen. Österreich hat weite Teile der Wirtschaft geschlossen, um vor allem das Leben der Älteren zu schützen. Das ist aber nicht gelungen. Wir haben die Älteren nicht schützen können und die Gesunden weggesperrt. Die Bilanz fällt also nicht sehr positiv aus. Ich bin aber auch froh, nicht in der Haut jener zu stecken, die politische Entscheidungen treffen mussten. Es hat sich auch gezeigt, dass es große Defizite in der Verwaltung des Staats gibt.
Welche?
Der Staat hat kolossal versagt. Wenn wir es nicht schaffen, die Verwaltung und die Schulen in angemessener Zeit zu digitalisieren, wenn wir es nicht hinkriegen, die Menschen rascher zu impfen und ein Contact Tracing aufzustellen, dann muss man von einem gewaltigen Staatsversagen sprechen. Deshalb wundert es mich auch, dass viele Menschen noch mehr von diesem Staat wollen. Unser Bild von einer zwar teuren, aber starken und funktionierenden Verwaltung ist leider falsch. Man kann diese Regierung auch für das Versagen der Verwaltung nicht zur Gänze verantwortlich machen. Aber man kann von ihr verlangen, dass sie die richtigen Lehren daraus zieht.
Sehen Sie, dass aus Fehlern gelernt wird?
Ich habe eher den Eindruck, dass eine Durchhalteparole nach der anderen ausgegeben wird. Noch einen Lockdown durchstehen, und dann sind Schulen und Verwaltung wie vorher und alle haben wieder ihre Ruhe.
Warum tut sich das Land so schwer mit der Digitalisierung?
Man tut so, als wäre das eine Naturkatastrophe, die man abwenden muss. Wer glaubt, dass er die Digitalisierung aufhalten kann, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. In vielen Ländern war es kein Problem, auf virtuellen Unterricht umzustellen. In Österreich hängt der Erfolg vom pädagogischen Geschick der Eltern und vom individuellen Engagement einzelner Lehrer ab. Es gibt viele Lehrer, die Beachtliches leisten. Andere sind seit Wochen untergetaucht. Bildung ist zu einer Klassenlotterie geworden. Und Bildungsminister Heinz Faßmann moderiert die Krise. Es wird nicht entschieden, es wird nicht geführt, man versucht, alles im Konsens zu erledigen.
Ist Konsens so schlecht?
Nein, aber man kann kein Bundesland im Konsens zusperren. Da ist natürlich der Gesundheitsminister die letzte Instanz, die das zu entscheiden hat.
Der Gesundheitsminister war bisher in keiner Regierung von Bedeutung. Jetzt ist Rudolf Anschober der wichtigste Minister.
Ja, aber damit konnte niemand rechnen.
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