Das heimische System der Lohnfindung ist kein Grund dafür, an der Pflichtmitgliedschaft festzuhalten, wie die Kammern behaupten. Schließlich gibt es im Rest der Welt viele andere Modelle. Es gilt, Alternativen zu erarbeiten.
Die Pflichtmitgliedschaft ist alternativlos, weil sonst keine gerechte Lohnfindung möglich ist. So lautet dieser Tage die Argumentation von Wirtschafts- und Arbeiterkammer, obwohl letztere ja ohnehin den ÖGB die Kollektivverträge verhandeln lässt. Dieses Argument ist sehr leicht zu widerlegen – schließlich kommt der Rest der Welt (mit Ausnahme von Luxemburg) zumindest für die Arbeitnehmer auch ohne Pflichtmitgliedschaft aus. Und trotzdem werden auch die Interessen der Schweizer, deutschen und italienischen Arbeitnehmer angemessen vertreten, um nur in einige der Nachbarländer zu blicken.
Fakt ist, dass die Lohnverhandlungen in Österreich extrem zentralisiert sind, wie ein Vergleich des “Institute for Advanced Labour Studies” der Universität Amsterdam zeigt:
Das Institut hat 34 Länder untersucht und kommt zum Ergebnis, dass Österreich die mit Abstand geringste Flexibilität in der Lohnfindung aufweist (die Grafik zeigt aus Platzgründen eine Auswahl). Der Index berücksichtigt erstens, wie konzentriert die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmervertretung ist, z.B. wie viele Gewerkschaften es gibt. Hier ist die Konkurrenz in Österreich gering. Zweitens geht es darum, ob die Löhne eher auf Branchen- oder auf Firmenebene verhandelt werden: Das ist hierzulande ausschließlich über Branchen der Fall. Und drittens zeigt der Index auch, welcher Anteil der Arbeitnehmer und -geber in den Interessenvertretungen organisiert sind. Und das sind in Österreich durch die Pflichtmitgliedschaft ja praktisch alle.
Andere Länder zeigen, dass die Lohnfindung auch ganz anders organisiert werden kann und die Arbeitnehmer trotzdem nicht unter die Räder geraten. Zum Beispiel in Schweden, wo weder für Arbeitgeber- noch Arbeitnehmer die Pflichtmitgliedschaft bei einer Interessenvertretung gilt. Dort sind für 88 Prozent der Arbeitnehmer Kollektivverträge in Kraft (in Österreich 98 Prozent). Die Kollektivverträge werden aber zu gut drei Vierteln durch eine Kombination von Branchen- und Firmenebene festgelegt. Dennoch kommt es etwa gerade in der öffentlichen Verwaltung auch sehr auf den jeweiligen Arbeitgeber an: Für Schwedens Bedienstete im öffentlichen Sektor gelten 130 verschiedene Kollektivverträge. Nicht zuletzt gibt es drei Gewerkschaftsbünde, Dutzende Einzelgewerkschaften und etwa 50 Arbeitgebervertretungen – was dazu führt, dass die Interessenvertreter guten Service bieten müssen.
In Dänemark wiederum gelten für etwa 80 Prozent der Arbeitnehmer Kollektivverträge, die zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft ausgehandelt werden (beiderseits ohne Pflichtmitgliedschaft). Anders als in Österreich umfassen diese Verträge aber keine Löhne auf Branchenebene. Es gilt ein Mindestlohn, und was darüber hinaus geht, wird auf Betriebsebene zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandelt. Interessenvertretungen spielen dann keine Rolle.
Finnland oder Island liefern Lösungen dafür, wie Kollektivvertragslöhne auch für Betriebe gültig werden, die diese im Rahmen der Pflichtmitgliedschaft nicht mitverhandelt haben. Etwa über die Regelung, dass ein KV-Lohn für die gesamte Branche gilt, wenn er bereits mehr als 50 Prozent der Branche erfasst.
Die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft würde zweifellos Änderungen nach sich ziehen. Das kann aber kein Grund sein, die Idee allein deswegen zu verwerfen. Es sollte darum gehen, andere Modelle zu studieren und mögliche Lösungen zu entwickeln. Von alternativlos kann keine Rede sein.
In der Haut der Verhandler möchte man bei der diesjährigen Herbstlohnrunde nicht stecken.
Die üblichen Werkzeuge und Routinen dürften zu grob sein, um ein vernünftiges Ergebnis zustande zu bringen.
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Beschäftige in der Privatwirtschaft müssen sich mit knapp sieben Prozent Gehaltserhöhung zufriedengeben, das ÖBB-Personal pocht auf zwölf Prozent.
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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