Innenpolitik

Die Freiheit ermüdet das Volk 

Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor, lautet die antike Weisheit. Was sagt das über uns? Wollen wir keinen Frieden?

Wer im Pariser Louvre in den ersten Stock steigt und den Denon-Flügel ansteuert, steht bald vor einem der bemerkenswertesten Gemälde der westlichen Welt: Dem Meisterwerk von Eugène Delacroix „La liberté guidant le peuple“. Die Freiheit führt das Volk. Barbusig, das Bajonett aufgepflanzt, schwenkt die allegorische Freiheit eine gewaltige Tricolore über den Köpfen der kämpfenden Bürger. Im Hintergrund das brennende Paris. Im Juli 1830 werden sie noch den Sieg davontragen, doch schon zwei Jahre später werden sie erneut zu den Waffen greifen müssen. Eindrücklich schildert Victor Hugo in „Die Elenden“, wie sich junge Männer im Juni 1832 lieber auf den Barrikaden in Stücke schießen lassen, als die Umtriebe des neuen Königs zu erdulden. 

Wie findet man nun den Bogen von den schönen Künsten und dem idealisierten Freiheitskampf der Franzosen zum österreichischen, Melange schlürfenden Alltagseinerlei, in dem die Freiheit nicht mehr ist als eine reine Formalität? Ein verbrieftes Recht. Schwarz auf weiß seit 1955. Sollte die Tyrannei dereinst an die Tür klopfen, halten wir ihr einfach den Staatsvertrag unter die Nase: Gehen Sie bitte weiter. Wir sind hier frei. 

Hoffentlich reicht das. Bis uns die MA 37 nämlich die Barrikaden baupolizeilich abgenommen hätte, säße die Tyrannei schon beim Kaiserschmarrn im Café Central. 

Die Schüsse nicht gehört 

Auch die neue Bundesregierung hat die Schüsse nicht gehört. Während es wieder einmal die Franzosen sind, die Westeuropa im Abwehrkampf gegen Vladimir Putin wachhalten, legt Schwarz-Rot-Pink lieber die Hände in den Schoß. Wozu hat man schließlich NATO-Nachbarn? Mit 1,6 Prozent der Staatsausgaben legen wir weniger Wert auf Rüstung als die meisten anderen Länder der Welt. Die Daten des Friedensforschungsinstituts SIPRI zeigen, dass man sogar auf dem Archipel Cape Verde oder in den weiten Steppen der Mongolei größere Teile der knappen Budgets der Landesverteidigung widmet. Doch die österreichische Dreierkoalition lässt es gemütlich angehen. Im Regierungsprogramm heißt es: „Zur langfristigen Absicherung unserer Verteidigungsfähigkeit wird […] das budgetäre Ziel auf 2 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes [sic] angehoben. (Anm.: Bis 2032)“ 

Erstens, welcher Lektor lässt „Brutto-Inlandsproduktes“ durchgehen? Und zweitens, welches Kommunikationsgenie hat in letzter Sekunde diese dreiste Anmerkung hinzugefügt? Bis 2032? Bis dahin ist das Baltikum vielleicht schon russisch. So lange geben wir uns, um den Wehretat wenigstens auf das immer noch zu niedrige Niveau zu bringen, auf dem die meisten anderen europäischen Länder längst sind? Natürlich sind über fünf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr keine Kleinigkeit. Aber Rüstung ist eben teuer. Erst recht dann, wenn man jahrzehntelange Versäumnisse aufholen muss. Erst kürzlich hat man im Verteidigungsministerium fast eine Milliarde Euro für zwölf neue Black-Hawks hingeblättert. Eine fabrikneue F-35 geht derzeit für über eine Viertelmilliarde Euro über die Ladentheke. 

Krieg kostet 

Wir machen uns offensichtlich weiterhin nicht klar, was es bedeuten würde, wenn uns Russland einen Krieg aufzwingen würde. Oder weniger martialisch und hoffentlich realistischer ausgedrückt: Uns zu einer Aufrüstung zwingen würde, die einen Krieg zu verhindern imstande wäre. Die Ukraine hat 2023 mehr als ein Drittel ihres Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung gesteckt; satte 58 Prozent des Budgets sind dafür reserviert. Hinzu kommen seit Kriegsausbruch durchschnittlich 80 Milliarden Euro pro Jahr an Militärhilfe von außen; trotzdem reicht es nur, um geradeso den Kopf über Wasser zu halten. Und historisch war es nie anders. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat berechnet, dass die heutigen G7-Länder in beiden Weltkriegen bis zu 70 Prozent ihrer Staatsbudgets für Rüstung ausgaben. Die Ressourcen, die ein Krieg verschlingt, sind für Sommerkinder wie uns außerhalb jeder Vorstellungskraft.

Die Ressourcen, die ein Krieg verschlingt, sind für Sommerkinder wie uns außerhalb jeder Vorstellungskraft.

Die Deutschen hatten jüngst ein Rendezvous mit der Realität. Als Altkanzler Olaf Scholz noch im Februar 2022 ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von damals astronomischen 100 Milliarden Euro ankündigte, grübelten fachkundige Beobachter, was man nun mit dem Kleingeld anfangen solle. Vielleicht den Munitionsbestand der Bundeswehr so aufstocken, dass sie aus den wenigen Rohren, die sie hat, wenigstens ein paar Monate lang auf einen Aggressor feuern könnte. Aber viel mehr nicht. Und als das Geld dann beim Beschaffungsamt in Koblenz schließlich ganz zu versanden drohte, schien sogar das nicht mehr als eine Illusion zu sein. 

Also plötzlich doch mehr Staat? 

Ja, was denn nun? Auf der einen Seite fordern die Neoliberalen, der Staat solle sparen; vorzugsweise bei sich selbst. Und nun soll er plötzlich groteske Mittel ausgerechnet in die Rüstung stecken? 

Typisch! Die Kapitalisten hatten ja schon immer ein Faible für Militarismus. Wer seinen Marx gelesen hat und weiß, dass die Geschichte der Menschheit eine rein deterministische Angelegenheit ist, die sich genauso abspult, wie es der alte Rauschebart aufgeschrieben hat, kann kaum überrascht sein: Durch die ungezügelte Kapitalakkumulation werden immer mehr Güter produziert, aber da die Maschinen die Arbeitskräfte verdrängen, hat am Ende niemand mehr Geld, um sie zu kaufen. Die Lösung: Krieg! Nichts produziert der Kapitalist lieber als Granaten, die zwei Tage nach Auslieferung mit lautem Knall explodieren und ersetzt werden müssen. Außerdem ist der Staat ein angenehmer Kunde mit unbegrenzter Bonität und hoher Zahlungsmoral. So ein richtig schöner, in die Länge gezogener Stellungskrieg lässt das verknöcherte Kapitalistenherz höherschlagen! Kein Wunder also, dass die Industriefreunde der Aufrüstung das Wort reden.

Doch wer marxistisch gegen mehr Geld für die Rüstung argumentieren will, sollte sich der Ironie bewusst sein, dass es ja gerade Putin ist, der den Marxismus-Leninismus noch mit der Muttermilch aufgesogen hat. Die Industriellen Europas hätten nicht das Geringste gegen noch ein paar Jahrzehnte Friedensdividende und billiges Gas einzuwenden gehabt.

Aber manchmal kann man es sich eben nicht aussuchen. Deshalb muss nun im Budget priorisiert werden; und zwar zulasten der Ausgabenposten, bei denen uns kein wildgewordener Aggressor die Pistole auf die Brust setzt. Wir können nicht entscheiden, ob wir demnächst Black-Hawks brauchen werden; wir können aber entscheiden, ob wir unser Pensionssystem reformieren und das 30-Milliarden-Loch zuschütten wollen, das darin klafft.

Wenn deutlich ärmere Länder an der Ostflanke Europas drei und mehr Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Rüstung investieren, dann ist es pure Trittbrettfahrerei, wenn wir weniger tun. Oder lohnt es sich etwa nicht, um ein Land zu kämpfen, wenn es nicht mehr 32 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für soziale Wohltaten ausgeben kann? Innere, äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen, war ja schon das Mantra von Olaf Scholz.

Kein Land der Welt hat je einen Krieg mit ausgeglichenem Haushalt geführt. Doch wer schon in Friedenszeiten die Kontrolle über sein Budget verloren hat, der könnte es schwer haben, noch Geldgeber zu finden, wenn er erst nackt im Kugelhagel steht. 

Kommantar von Jan Kluge für “Die Presse” (15.5.2025)

 

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