Dem Volk nach dem Mund geredet wird auch von links – und immer öfter aus dem Zentrum der Macht. Beispiel Österreich.
Die Story vom Tellerwäscher, der es mit harter Arbeit zum Millionär brachte, erzählt man sich in den Vereinigten Staaten noch immer gern und oft. In Österreich wird seit dem vergangenen Wochenende die Geschichte eines ganzen Landes erzählt, das es innerhalb weniger Stunden vom politischen Sorgenkind zum Helden Europas gebracht hat: Österreich ist wider Erwarten nicht das erste westeuropäische Land nach Ende des Zweiten Weltkriegs, das einen Rechtspopulisten zum Präsidenten gewählt hat.
Vielmehr ist Österreich das erste westeuropäische Land, das einen Grünen mit dem höchsten Amt im Staate betraut. Wofür wir von der internationalen Presse geradezu umarmt werden, insbesondere dafür, den schier unaufhaltsam scheinenden Aufstieg des Rechtspopulismus endlich gestoppt zu haben. Ob dem tatsächlich so ist, werden freilich erst die anstehenden Wahlen in Frankreich und den Niederlanden zeigen.
Abgesehen davon ist die geschlagene Bundespräsidentenwahl eine gute Gelegenheit, sich noch einmal des Themas Populismus anzunehmen. Etwa des Umstands, dass dieser in der veröffentlichten Wahrnehmung ausschließlich eine Plage von rechts zu sein scheint.
Rechtspopulismus ist schon fast zum Pleonasmus geworden, spätestens seit dem Wahlsieg des Herrn Donald Trump in den USA. Zur Gruppe der abzulehnenden Rechtspopulisten gehören neben Trump noch Menschen wie Nigel Farage, Marine Le Pen und Norbert Hofer, deren erklärtes Ziel die Zerschlagung etablierter Systeme ist. Sich damit auseinanderzusetzen ist wichtig und richtig, da gibt es auch nichts zu verharmlosen.
Interessanterweise scheint das für den Linkspopulismus nicht zu gelten, obwohl dieser mit fast deckungsgleichen Rezepten (von der Steuerpolitik einmal abgesehen) dieselben Ziele verfolgt wie die Dame und die Herren von rechts. Und das höchst erfolgreich: Griechenland wird längst von Linkspopulisten geführt, Portugal ebenso. In Spanien ist Podemos zur fixen Größe aufgestiegen, und in Italien könnten die Linkspopulisten demnächst den Euro-Austritt zur Abstimmung bringen.
Wird der Ruf nach Euro-Austritt, mehr Protektionismus, weniger Globalisierung, weniger Wettbewerb, mehr Staat und einer Abschottung der Arbeitsmärkte richtiger, wenn er von Linksaußen kommt? Wohl kaum. Menschen wie Alexis Tsipras, Yanis Varoufakis, Beppe Grillo oder Sahra Wagenknecht werden aber nicht als üble Populisten geführt, sondern als besorgte Intellektuelle, die das Herz am rechten Fleck tragen und die Nöte der Menschen verstehen.
Sie verdienen aber keine bessere Behandlung als ihre Kollegen von rechts. Populismus ist Populismus – Punkt. Er kommt von rechts, von links und verfolgt ein und dieselbe Taktik: Möglichst viele Menschen möglichst schnell davon zu überzeugen, zur stark wachsenden Gruppe der Modernisierungsverlierer zu zählen; zu den unschuldigen Opfern jener dunklen elitären Mächte zu gehören, die es entschlossen zu bekämpfen gilt.
Aber nicht jeder Populist ist ein Oppositioneller. Immer öfter kommen die begnadetsten „Dem-Volk-nach-dem-Mund-Redner“ aus den elitärsten Zirkeln, aus dem Innersten des „Systems“: Wenn heimische Regierungsmitglieder behaupten, dass trotz Rekordumverteilung die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, muss sich niemand beklagen, wenn die Wähler jenen in die Arme laufen, die seit Jahren ein Versagen der Eliten konstatieren.
Wenn Regierungsmitglieder darüber klagen, dass der Bildungsstand im Land des völlig freien Bildungszugangs eine Frage der Herkunft ist, sollte niemand überrascht sein, dass die Bevölkerung jenen nachläuft, die seit vielen Jahren ein Versagen der politischen Eliten anprangern. Und wenn die Regierung den Rentnern zu Silvester noch einen Extra-Hunderter zusteckt, obwohl dem staatlichen Pensionssystem knapp 24 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zugeschossen werden müssen – was ist das denn anderes als billigster Populismus direkt von der Regierungsbank?
Der irisch-britische Schriftsteller Edmund Burke hat das Phänomen bereits im 18. Jahrhundert treffend beschrieben: „When the leaders choose to make themselves bidders at an auction of popularity, their talents, in the construction of the state, are of no service. They will become flatterers instead of legislators, the instruments, not the guides of people.“
Eine Reihe heimischer Regierungsvertreter ist längst zum Instrument geworden, auch sie nehmen am Wettbewerb teil, möglichst viele Menschen so schnell wie möglich davon zu überzeugen, zur stark wachsenden Gruppe der hilflosen Verlierer zu gehören. Menschen, die kaum noch eine Chance auf eine gute Zukunft haben, wenn sie nicht Vertreter der Regierungsparteien weiter stärkten.
Dabei übersehen Letztere, dass es in einer Demokratie ohnehin keine stärkere Position gibt als jene zu regieren und zu versuchen, die großen Herausforderungen zu lösen. Diese Art des politischen Gestaltungswillens wäre die einzige Chance, den Populisten von rechts und links das Wasser abzugraben. Lösungen für Herausforderungen anzubieten, von denen ja nicht nur wir Österreicher betroffen sind. Zu sehen, wie Regierungen anderer Länder ähnlich gelagerte Probleme lösten und das Unpopuläre populär machten.
Aber was passiert? Während die großen Fragen – von der Flüchtlingskrise über die steigende Arbeitslosigkeit, vom schwachen Wachstum bis hin zu den immerwährenden Budgetdefiziten – weitgehend unbeantwortet bleiben, wird das Leben der Menschen bis ins kleinste Detail reguliert. Die „größte Gewerbereform in der Geschichte des Landes“ endet damit, dass der Hufschmied 140 Jahre nach Erfindung des Otto-Motors zum schützenswerten Gewerbe erklärt wird. Und von der Regierungsbank aus wird nahezu stündlich nach höheren Steuern, höheren Staatsausgaben und höheren Schulden gerufen. Als hätte das Land davon nicht längst genug.
Dabei wollen die Menschen vom Staat nicht vorgeschrieben bekommen, wann sie einzukaufen haben, wann sie in den eigenen vier Wänden (!) rauchen dürfen und wie sie ihr Geschäft zu führen haben. Sie wollen wissen, wie ihre Kinder zu guten Schulen kommen, um in der digitalisierten Welt noch einen Job zu finden. Wie der Staat mit den immer höheren Einnahmen die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen verbessert, statt diese zu senken und gleichzeitig die öffentlichen Schulden in immer lichtere Höhen zu treiben. Und wie Menschen mit ihrem Ersparten gut durch das Alter kommen sollen.
Um den Populismus nachhaltig zu stoppen, wird es eine Regierung brauchen, die sich nicht anbiedert, sondern der Bevölkerung den Weg in eine bessere Zukunft leuchtet. Und wer weiß, vielleicht würde es auch ein Tellerwäscher in Österreich gern aus eigener Kraft zum Millionär bringen.
Gastkommentar von Franz Schellhorn, „Die Presse“, 10.12.2016
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