Konjunktur & Wachstum

Der Koalitionspakt: Eine waghalsige Interpretation der Realität

Wir haben das 124 Seiten zählende Regierungsprogramm gelesen und für Sie zusammengefasst.

Während die Krise allerorts Hunderttausende Menschen in die Arbeitslosigkeit treibt, glänzt das kleine Österreich mit hervorragenden Wirtschaftsdaten: In keinem EU-Land ist die offizielle Arbeitslosenrate so niedrig wie hierzulande und nur noch Luxemburg hat eine höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf als Österreich. Allerdings weiß mittlerweile auch jeder Medienkonsument, dass in den Ländern und Gemeinden die Schulden explodieren, im öffentlichen Pensionssystem jährlich 10 Milliarden Euro fehlen und im staatlichen Bildungssystem Jugendliche aus sozial schwächeren Haushalten im Stich gelassen werden: Jeder vierte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen. Wie begegnet nun die frisch bestellte Regierung diesen wachsenden Herausforderungen?

Sehen Sie selbst, wir haben das 124 Seiten zählende Regierungsprogramm gelesen und für Sie zusammengefasst:

▪ Einer der wichtigsten Punkte findet sich auf der vorletzten Seite: Der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wird nicht wie geplant 2014 neu verhandelt – die Regierungsparteien haben das Regelwerk kurzerhand bis Ende 2016 verlängert. Die Sanierung des Staatshaushalts ist ohne tiefgreifende Neuordnung des Finanzausgleichs aber nicht zu schaffen. Zur Erinnerung: Die Länder und Gemeinden bekommen vom Bund jährlich 28 Milliarden Euro überwiesen, das ist ein Plus von 73 Prozent in nur zehn Jahren (bei einer Inflation von 24 Prozent). Die Schulden der Länder haben sich in diesen zehn Jahren verdreifacht, jene der Gemeinden verdoppelt.

▪ Mehr Ausgabenverantwortung für Länder und Gemeinden bleibt also Wunschdenken. Die Regierung verzichtet zudem darauf, die föderalen Einheiten dazu zu verpflichten, ihre Schuldenstände und eingegangenen Haftungen zu melden. Deshalb weiß auch niemand, wie hoch der öffentliche Schuldenberg tatsächlich ist. Das ist vor allem für den Bund eine riskante Strategie, wie die Fälle Kärnten (Hypo Alpe Adria) und Salzburg (Spekulation des Landes) gezeigt haben – und noch zeigen werden.

▪ Während die Steuern auf Tabak, Schaumwein und Autokauf schon im kommenden Jahr erhöht werden, braucht die Regierung bis zum 1. Jänner 2016, um die Gesellschaftssteuer zu streichen.

▪ Gesenkt werden soll der Eingangssteuersatz – „in Richtung 25 Prozent“. Wann? „Sobald eine ausreichende Gegenfinanzierung oder budgetäre
Spielräume gegeben sind“. Das könnte also noch etwas dauern.

▪ Eines der wenigen konkreten Vorhaben ist – abgesehen von höheren Steuern – die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, das bis 2018 von derzeit 58,4 auf 60,1 Jahre steigen soll. Das ist überaus erfreulich. Erreicht werden soll das allerdings nicht über einen umfassenden Umbau des Pensionssystems, sondern über homöopathische Dosen. Die von der EU-Kommission geforderte Angleichung des gesetzlichen Frauenpensionsantrittsalters (60) an jenes der Männer (65) fehlt ebenso wie die Koppelung des Antrittsalters an die steigende Lebenserwartung. Das ist überraschend, immerhin fehlen im staatlichen Pensionssystem 10 Milliarden Euro – jedes Jahr. Das ist dreimal so viel Geld wie die Regierung für die Hochschulen ausgibt – nur um die Löcher im staatlichen Pensionssystem zu stopfen.

▪ Interessant: Abseits ihres Arbeitsprogramms hat die Regierung einen „Solidarzuschlag“ vorgesehen, der von den Unter-35-Jährigen eingehoben werden soll, falls das faktische Pensionsantrittsalter nicht wie vorgesehen steigen sollte. Mit anderen Worten: Die Jungen werden für das Verschleppen von Reformen durch die Regierung zur Kasse gebeten.

▪ Erreicht werden soll ein höheres Pensionsantrittsalter über Anreize: Wer ein Jahr nach dem gesetzlichen Antrittsalter in Pension geht, bekommt um 5,1 Prozent mehr Geld. Arbeitgebern winkt eine Prämie, wenn sie über 50-Jährige einstellen.

▪ Neben Anreizen gibt es aber auch Zwang: Unternehmer mit mehr als 25 Mitarbeitern müssen eine Beschäftigungsquote für Ältere erfüllen, die je nach Branche unterschiedlich hoch sein wird. An eine Reduktion der Lohnnebenkosten für Ältere oder eine Abflachung der Lohnkurven ist nicht gedacht.

▪ Das Wort „Nulldefizit“ wird nur einmal erwähnt. Wie hoch der Sanierungsbedarf ist (Stichwort „Budgetloch“), findet sich im Regierungsübereinkommen nicht. Das ist bemerkenswert, wurde die Finanzierungslücke für die nächsten fünf Jahre doch unlängst noch mit bis zu 40 Milliarden Euro beziffert. Zum Vergleich: In der abgelaufenen Legislaturperiode „fehlten“ dem Staat kumuliert über 60 Milliarden Euro, die sich die Republik an den Finanzmärkten leihen musste.

▪ „Massiv“ reduziert werden soll die Bürokratie. Was unter „massiv“ zu verstehen ist, behält die Regierung für sich. Erreicht werden soll das nicht näher definierte Ziel über die Einsetzung einer Deregulierungskommission – womit also neue Bürokratie geschaffen wird, um die Bürokratie abzubauen.

▪ Im Kapitel Bildung beschäftigt sich die Regierung vor allem mit den Volksschulen und Kindergärten. Das ist lobenswert. Ein zweites Gratiskindergartenjahr ist ebenso angedacht wie eine gemeinsame „Schuleingangsphase“. Damit sollte wohl auch der Umstand adressiert werden, dass ein Viertel der 15-Jährigen im staatlichen Schulwesen nicht sinnerfassend lesen kann. Die Gesamtschule wird nicht erwähnt, dafür „soll“ es mehr Ganztagsschulen geben. In „zumutbarer Entfernung“ soll es eine Klasse geben, die nach diesem Modell geführt wird. Eine Entpolitisierung öffentlicher Schulen ist ebenso wenig vorgesehen wie mehr Wettbewerb im heimischen Bildungswesen.

Forschung und Innovation wird als wichtig erachtet, welche Rolle die Universitäten im Zuge der Forschungsstrategie spielen sollen, bleibt unerwähnt.

▪ Im überregulierten Mietmarkt versucht es die Regierung nicht mit mehr Markt und besseren Anreizen für den privaten Wohnbau, sondern mit noch mehr Staat (Bau von 48.000 zusätzlichen Wohnungen auf Pump). Zudem wird eine gesetzliche Warnpflicht geprüft, derzufolge der Vermieter den Mieter vor dem Ablauf des Vertrags zu warnen hat.

▪ Im Kapitel Wachstum und Beschäftigung findet sich eine vorsichtige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes: In Ausnahmefällen wird es künftig erlaubt sein, zwölf Stunden pro Tag zu arbeiten. Etwa bei der Einrechnung von Dienstfahrten zum Arbeitsplatz oder bei Gleitzeitregelungen. Überstundenzuschläge fallen dann an, wenn der Arbeitgeber die Mehrarbeit wünscht. Ersucht der Mitarbeiter um einen längeren Arbeitstag (um dann einen längeren Freizeitblock genießen zu können), handelt es sich um Gleitzeit ohne Zuschläge.

▪ Hat die Schweiz erst unlängst gegen die Einführung einer sechsten bezahlten Urlaubswoche abgestimmt, wird sie in Österreich künftig leichter zu haben sein. Arbeitnehmer müssen zwar weiterhin 25 Jahre im selben Betrieb gearbeitet haben, Vordienstzeiten aus der Beschäftigung in anderen Firmen werden aber verstärkt angerechnet.

▪ Jahreseinkommen von über 500.000 Euro brutto sind künftig nicht mehr als Betriebsausgabe absetzbar, sondern zu versteuernder Gewinn. Damit werden Managergehälter stärker besteuert.

▪ Die Solidarabgabe wird auf unbestimmte Zeit verlängert. Ab Jahreseinkommen von 185.200 Euro brutto werden das 13. und 14. Gehalt mit einer Sondersteuer von bis zu 50 Prozent belegt. Damit besonders einkommensstarke Gruppen einen „gerechten Beitrag“ leisten, wie die Regierung meint. Wer 185.200 Euro brutto verdient, liefert vor Abführung der Solidarabgabe bereits 107.942 Euro an den Staat ab (Steuern, SV, inkl. Dienstgeberbeiträge) – aus Sicht der Regierung offensichtlich kein “gerechter” Beitrag.

▪ Die Lohnnebenkosten werden gesenkt. Der Beitrag zur Unfallversicherung sinkt ab 1. Jänner 2014 um 0,1 Prozentpunkte (!), jener zum Insolvenz-Entgelt-Fonds ab 1. Jänner 2015 ebenfalls um 0,1 Prozentpunkte.

▪ Die Kosten für Zahnspangen, Kieferersatz und Mundhygiene werden künftig von den Krankenkassen bezahlt. Respektive von deren Beitragszahlern.

Alles in allem hinterlässt dieses Regierungsprogramm den Eindruck einer eilig zusammen geschusterten Ansammlung von Absichtserklärungen, die vor allem eines versprechen: dass sich in den nächsten fünf Jahren nicht allzu viel ändern wird. Deutlich herauszulesen ist die Handschrift der Sozialpartner und der Vertreter von Ländern und Gemeinden. Die Regierung hat – zumindest im vorgelegten Programm – darauf verzichtet, wenigstens eine große Reform zu wagen. Etwa in der Bildung oder im Pensionswesen. Auffallend oft kommt das Jahr 2016 vor, insbesondere im Zusammenhang mit den Reformankündigungen. Das wiederum ist vor allem mit dem „Superwahljahr“ 2015 zu erklären ist (gewählt wird ja vor allem in Wien).

Allerdings ist die Legislaturperiode noch jung. Und vielleicht nehmen sich die Regierenden Österreichs ja doch noch die Empfehlung des seinerzeitigen sozialdemokratischen Finanzminister Neuseelands, Roger Douglas, zu Herzen: “Grundsätzliche Reformen müssen in Quanten-Sprüngen verwirklicht werden, weil sonst Interessengruppen Zeit finden, ihre Klientel zu mobilisieren, einen zu zermürben und alles zu verwässern. Schnelligkeit ist dabei ebenso wichtig wie das Prinzip, die Privilegien verschiedenster Gruppen auf einmal zu kappen.

Zum Schluss noch drei Sätze, die es hierzulande immerhin in ein Regierungsprogramm geschafft haben:

„Prüfung der Ausdehnung der kostenfreien Impfung gegen Hepatitis A und B auf angehörige der Freiwilligen Feuerwehr (im Kapitel Soziales)

„Verbesserung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft durch: Umsetzung einer österreichischen Eiweißstrategie

„Die Pensionskommission setzt sich in Zukunft aus den für das oben genannte Ziel notwendigen Experten zusammen.“ Schüchterne Frage: Wie war das bisher?

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