Bildungsbudget: Die Tücke der strukturellen Lücke
- 04.11.2015
- Lesezeit ca. 4 min
Das Geld fehlt nicht aufgrund höherer Gewalt, sondern wegen politischer Fehlentscheidungen in der jüngeren Vergangenheit.
Gute Nachrichten für Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek: Sie hat für das Jahr 2015 ein Nachtragsbudget in Höhe von 300 Millionen Euro erhalten, um die „strukturelle Lücke“ im Bildungsbudget des laufenden Jahres auffüllen zu können. Weniger erfreulich ist, dass die Strukturen bleiben, die zu diesem Fehlbetrag geführt haben. Weshalb das Personalbudget im Schulbereich jährlich aus dem Ruder läuft. Wo entstehen nun diese finanziellen Lücken?
Die erste Lücke ins Budget riss eine politische Entscheidung aus dem Jahr 2007. Beginnend mit dem Schuljahr 2007/08 wurde in den ersten Klassen der Volksschulen, Hauptschulen und Gymnasien die Klassenschülerhöchstzahl auf 25 herabgesetzt und dies in den nächsten Jahren auch in den zweiten bis vierten Klassen eingeführt. Aus demselben Jahr datiert auch eine Studie des IHS, das die Verringerung der Klassenschülerzahl als größten Kostentreiber für die Personalkosten identifiziert. Dabei wurden die heimischen Schüler schon davor nicht in überfüllten Klassen unterrichtet. Österreich lag bereits vor der Reform leicht besser als der Durchschnitt der EU-Staaten.
Schon im ersten Jahr der Reform wurden in den ersten Volksschulklassen durchschnittlich nur noch 18,1 Kinder unterrichtet, in den ersten Hauptschulklassen waren es 20,4 Kinder. Seither hat sich dieser Trend auf alle Schulstufen der Volksschulen, Hauptschulen und Neuen Mittelschulen ausgeweitet. Die kleineren Klassen werden zwar von Lehrern, Eltern und Schülern positiv beurteilt. Allein: Die wissenschaftliche Forschung kann bisher keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Klassengröße und Unterrichtsqualität nachweisen. Die OECD merkt an, dass sich die Klassengröße eher auf die Arbeitsbedingungen und die Zufriedenheit der Lehrpersonen als auf die Qualität des Unterrichts auswirkt.
Und die Kosten? Bereits für das Schuljahr 2008/09 stellte der Rechnungshof zusätzliche Personalkosten von rund 146 Millionen Euro fest. Seit der Umsetzung der Reform in allen Schulstufen werden jährlich über 330 Millionen Euro für konstant niedrige Klassenschülerzahlen aufgewendet.
Der zweite Lückenreißer war die Einführung der Neuen Mittelschule, ein Herzstück der Reformbemühungen von Unterrichtsministerin Claudia Schmied: dies sollte die Probleme in den städtischen Hauptschulen lösen. Auch die Neue Mittelschule wurde ohne wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage eingeführt. Noch bevor die gesetzlich vorgesehene Evaluierung der Versuchsschulen stattfinden konnte, beschloss die Regierung im März 2012 die sukzessive Einführung der Neuen Mittelschule (NMS) in ganz Österreich. Mit dem Schuljahr 2018/19 werden die Hauptschulen vollständig vom neuen Schultyp abgelöst sein.
Mit beträchtlichen finanziellen Folgen: Laut Rechnungshof stiegen die durchschnittlichen Lehrerpersonalkosten von 6.600 Euro pro Schüler und Schuljahr an Hauptschulen schlagartig auf rund 7.200 Euro pro Schüler und Schuljahr an den NMS. Dadurch entsteht für das Unterrichtsbudget im Jahr 2016 verglichen mit 2008 eine Mehrbelastung von über 200 Millionen Euro, die sich bis zum Vollausbau auf jährlich rund 230 Millionen Euro ausweiten wird. Ein Großteil dieser Zusatzkosten sind höhere Personalkosten durch den Einsatz von Teamteaching (Zwei-Lehrer-System) in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch.
Wie die begleitende Evaluierung zeigte, verbessert das neue pädagogische Modell zwar die Unterrichtsqualität und die Schulkultur, leistet aber keinen Beitrag zu mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit. Insbesondere bei den leistungsschwächeren Schülern ist kein Aufwärtstrend erkennbar.
Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild: Die beiden Reformen kosten die Bevölkerung jährlich knapp 560 Millionen Euro zusätzlich. Für beide Reformen gab es zum Zeitpunkt der Umsetzung keine wissenschaftlich fundierte Grundlage, und das Geld wird mit der Gießkanne verteilt. Was hätte zu geschehen? Eine Erhöhung der Klassenschülerzahlen auf den Durchschnittswert der EU-Staaten sowie ein gezielter Einsatz des Teamteachings an NMS könnten einen Großteil der Mittel einsparen, ohne die Qualität der Schulbildung zu beeinträchtigen. Die Hälfte des gesparten Gelds sollte gezielt an Schulen gehen, die wegen ihres hohen Anteils an Risikoschülern mehr Förderung brauchen als der Durchschnitt. Und mit der anderen Hälfte könnte das Defizit im Bildungsbudget, die sogenannte “strukturelle Lücke”, geschlossen werden.
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