Wohnen

Verliebt in Wien

Der Wiener Gemeindebau wird in deutschen Medien zum großen Vorbild erhoben. Das ist übertrieben, das Modell hat nämlich auch seine Schwächen. – Kommentar von Franz Schellhorn

Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky sollte öfter ausländische Zeitungen lesen. Die „Süddeutsche“ zum Beispiel. Dann würden ihm Sätze wie dieser schwerer über die Lippen gehen: „Ich habe den Eindruck, dass einige das Ziel haben, Wien als riesengroßen Problemfall darzustellen“, wie Czernohorszky in einem Interview mit Rosemarie Schwaiger im profil vergangene Woche meinte. Es stimmt schon, an Kritik fehlte es in letzter Zeit nicht, etwa im Zusammenhang mit den erschütternden Zuständen an diversen Brennpunktschulen.

Lobeshymne auf das rote Wien

Aber es gibt auch jede Menge Lob. Wien ist nicht nur die lebenswerteste Stadt der Welt, sondern außerhalb Kubas auch die letzte Bastion gegen das internationale Mietspekulantentum. So sieht das jedenfalls der Österreich-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“. „So geht Wohnen“, lautete der Titel einer großen Reportage auf der Seite 3 des Münchner Blatts am vergangenen Mittwoch. Was folgte, war eine Lobeshymne auf das rote Wien, wie sie sonst nur noch in der „AK für Sie“ zu lesen wäre. „Nein, der Immobilienmarkt muss nicht den Gesetzen des Zynismus gehorchen: In Wien kümmert sich die Politik seit jeher um die Mieter und nicht um die Spekulanten. Das Ergebnis ist nicht perfekt, aber sehr beneidenswert.“

Ein großer Teil der Mieter ist ja auch tatsächlich in einer beneidenswerten Position. Die Stadt Wien ist mit 220.000 Gemeindewohnungen der größte Hausbesitzer Europas und die größte Hausverwaltung des Kontinents. Mehr als eine halbe Million Menschen wohnen vergleichsweise günstig bei der Stadt zur Miete. Hinzu kommen 200.000 geförderte Wohnungen, in Summe werden sechs von zehn Wohnungen in der Bundeshauptstadt dem sozialen Wohnbau zugerechnet. Geschützte, vererbbare Friedenszinsverträge sind ebenfalls nicht eingerechnet wie streng regulierte Mietverträge im Privatbereich.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wien ist eine großartige Stadt, in der es sich hervorragend leben lässt. Und ja, es ist absolut zu begrüßen, dass armen Menschen ein leistbares Dach über dem Kopf gegeben wird. Genau dafür ist der Sozialstaat ja auch gedacht. Aber deshalb muss man nicht die Augen vor den Verwerfungen des „Wiener Modells“ verschließen. In den Genuss der Gemeindewohnungen sind ja nicht nur jene gekommen, die sie brauchen. Sondern auch jene, die rechtzeitig mit dem passenden Parteibuch in der Tasche zum Magistrat gepilgert sind und eine der begehrten Sozialwohnungen mit beispiellos günstigen Mieten ergattern konnten.

Neun von zehn Wienern haben Anspruch auf eine Gemeindewohnung

Die soziale Treffsicherheit ist recht bescheiden: Gerade einmal 21 Prozent der Bewohner heimischer Sozialwohnungen sind Niedrigverdiener, der Großteil sind Mittel- und Spitzenverdiener. Das sind österreichweite Zahlen, Auswertungen von Wien fehlen. Es will auch niemand so genau wissen. Was man aber weiß, ist, dass die Einkommensgrenzen so hoch angesetzt sind, dass neun von zehn Bürgern Anspruch auf eine Gemeindewohnung haben. 45.510 Euro netto (!) im Jahr für eine Person, 67.820 Euro netto im Jahr für zwei Personen – das ist absurd.

Die sozialdemokratische Stadtverwaltung rechtfertigt diesen Umstand gerne damit, dass es in den Sozialbauten eine gute Durchmischung brauche. Dass der Notstandshilfebezieher mit dem Spitzenbeamten jedes zweite Wochenende den Grill anwirft, dürfte eher die Ausnahme sein.

Dabei ist es völlig in Ordnung, wenn Menschen, die den sozialen Aufstieg schaffen, in ihrer Gemeindewohnung bleiben wollen. Aber was spricht dagegen, dass sie höhere Mieten zahlen als der Niedrigstverdiener von nebenan? Zumal die Stadt mit den Zusatzeinnahmen neuen sozialen Wohnraum schaffen könnte, der den Bedürftigen zugute käme.

Zweiklassengesellschaft am Wohnungsmarkt

Bevor das „Wiener Modell“ vor dem Wohnungsgipfel der deutschen Regierung in Berlin zum großen Vorbild hochgeschrieben wird, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass wir es hier mit einer knallharten Zweiklassengesellschaft zu tun haben. Auf der einen Seite die gut geschützten Insider, die trotz hoher Einkommen vor steigenden Mieten geschützt sind, auf der anderen Seite die ungeschützten Outsider, die trotz niedriger Einkommen keinen leistbaren Wohnraum finden. Zu Letzteren zählen viele junge Menschen, die von zu Hause ausziehen wollen oder die vielen Jungfamilien, die mehr Platz brauchen und diesen nur zu horrenden Preisen bekommen.

Die Wartelisten im Sozialbau sind nämlich sehr lang. Auch, weil ein nicht unbeträchtlicher Teil der günstigen Wohnungen von Menschen belegt wird, die überdurchschnittlich gut verdienen. Wer nicht die „richtigen“ Leute kennt, dem bleibt nur noch der Gang auf den freien Markt, der enger nicht sein könnte. Gerade einmal zwölf Prozent der Mietverträge werden frei verhandelt, aufgrund der überschießenden Nachfrage gehen die Mieten durch die Decke.

Die Lösung kann aber nicht darin liegen, den gesamten Wohnungsmarkt zu vergemeinschaften. Dauerhafte Linderung kann nur ein schneller als die Nachfrage steigendes Wohnungsangebot bringen. Zudem sollten Sozialwohnungen jene bekommen, die sie auch tatsächlich brauchen. So ginge Wohnen.

Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 22.09.2018

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