Was folgt, ist ein düsteres Kapitel. Mit den Nazis halten rassische Elemente Einzug; vor allem beim Thema Mieterschutz wird das deutlich spürbar.[1] Zudem werden unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 Preiserhöhungen jeder Art untersagt („Preisstopp-Verordnung“). Auch die Mieten werden kurzerhand eingefroren. Nach dem Krieg bleibt das auch erst einmal so. Selbst am WIFO traut man sich im Dezember 1945 nicht an das inzwischen „ökonomisch falsche […] Preisgebilde“ heran. Die zu geringe Gütermenge und die rasch wachsende Geldmenge, fürchtet man, könnten zu unkontrollierbaren Situationen führen: „Die Entstehung von Zufallspreisen und Zufallsgewinnen, die sich aus der Eigenart der Lage ergeben können, die aber zweifellos geeignet wären, das Chaos noch weiter zu vergrößern, muß vor allem vermieden werden.“[2] Österreich wird die Preisstopp-Verordnung erst 1954 aufheben, im selben Atemzug wird man aber das Zinsstoppgesetz[3] erlassen, das im Wohnungsmarkt den Status quo wieder einfriert. Die Mieten für Wohnungen, die nicht dem Mietengesetz unterliegen (also insbesondere solche, die nach 1917 gebaut wurden), bleiben, wo sie 1954 waren.
Mitte der 1960er-Jahre ist nur eins klar: So kann es nicht weitergehen. Der Abgeordnete Luis Bassetti (ÖVP) fasst die Situation in einer Nationalratsdebatte am 29. Juni 1967 drastisch zusammen:[4]
Ein Befund wie ein Peitschenhieb. Ein halbes Jahrhundert lang will die Wohnungspolitik für die Mieter nur das Beste, erschafft am Ende aber nur ein dysfunktionales und ungerechtes Regelwerk. Der Wohnungsbestand zerfällt 1967 im Wesentlichen in drei Teile:
In allen drei Segmenten existieren natürlich komplizierteste Ausnahmeregelungen. Zwischen den Paragrafen (aber auch außerhalb) bekämpfen sich Mieter und Vermieter bis aufs Blut. Insofern ähnelt der damalige „Wohnungsmarkt“ bereits der Schlangengrube, die er heute ist. Denn auch für die nächsten 60 Jahre wird gelten: Entscheidend für die Miethöhe ist vor allem das Baujahr der Wohnung; nicht Lage, Größe, Ausstattung oder die finanzielle Bedürftigkeit ihrer Bewohner. Seit 1917 erschöpft sich die soziale Dimension der Wohnungsmarktpolitik darin, Wohnungsbestände nach Baujahren zu sortieren und zu regulieren. Bis heute. Am Ende wohnen die Falschen in den günstigen Wohnungen.
Aber zurück in die Zeitmaschine: Im Jahr 1967 kommt das bis heute letzte große Liberalisierungspaket überhaupt. Sämtliche Neuvermietungen sind wieder frei.
Doch schon bald schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus. Dabei wird sogar ein Tabu fallen, an das sich bis dahin noch niemand herangetraut hat. Zwar wurden in den Jahren 1917, 1922, 1938 und 1954 Mieten eingefroren; das geschah aber jeweils in Relation zu einer Miete, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Wohnung bereits einmal erhoben worden war. Doch 1974 wird erstmals eine konkrete Miete per Gesetz festgeschrieben. Zunächst zwar nur für Substandardwohnungen (vier Schilling pro Quadratmeter); mit dem Mietrechtsgesetz (MRG) von 1982 und dem damit eingeführten System der Kategoriemieten wird daraus aber ein grundlegendes Prinzip. Das Mietrechtsgesetz überfährt den Wohnungsmarkt wie eine Dampfwalze. Selbst Wohnungen, die ab 1968 frei vermietet werden durften, sind nun wieder streng reguliert; die Mieter können eine Senkung der Miete verlangen. Dafür ist immerhin erstmals eine echte Wertsicherung vorgesehen, d.h. eine Indexierung der Mieten an den Verbraucherpreisindex.
Was kommt jetzt? Sie ahnen es schon: eine Liberalisierung. Die MRG-Novelle von 1985 sollte sich noch als sehr wichtig erweisen. Sie entlässt (rasch) neu vermietete Wohnungen der Kategorie A aus der rigiden Mietregulierung und erlaubt nun einen angemessenen Mietzins. Zuvor galt das nur für solche Wohnungen ab 90 Quadratmetern. Was wie eine kleine Änderung wirkt, macht aber einen gewaltigen Unterschied. Denn für gewerbliche Vermieter ist ja im Grunde nur Kategorie A interessant; jeder Neubau fällt mehr oder weniger automatisch in diese Kategorie. Für Investitionen und Sanierungen stehen nun Tür und Tor offen.
Doch das ist dann auch schon ziemlich alles, was sich im Rückblick noch als Liberalisierung interpretieren lässt. Die bis heute letzte, große Reform ist die Einführung des Richtwertsystems 1994. Für Altbauwohnungen, die ab jetzt angemietet werden, gelten nicht mehr die Kategoriemieten (sie befinden sich also heute seit über 30 Jahren in der Auslaufphase), sondern ein gesetzlich vorgeschriebener Richtwert, der ein komplexes System aus Zu- und Abschlägen einschließt. Erstmals wird hier vor allem die Lage mitberücksichtigt. Auch wenn die Mieten weiterhin per Gesetz vorgeschrieben werden – und man daher wohl kaum von einer Liberalisierung sprechen kann –, kann es also durchaus vorkommen, dass manche Vermieter einer Altbauwohnung in guter Lage nun mehr verlangen können als zuvor. Doch das hilft den meisten wenig. Denn auch für die Kategorie A, die 1985 aus der strengen Mietpreisregulierung entlassen worden war, stehen die Mieten nun wieder im Gesetz. Es bleibt aber immerhin die Wertsicherung. Für viele Vermieter ist sie das einzige Argument, warum es sich weiterhin lohnt, in österreichische Wohnimmobilien zu investieren. Die Renditen sind zwar niedrig; doch dafür braucht man sich wenigstens um die Inflation keine Gedanken machen.
Der Rest der Geschichte ist eine rücksichtslose Durchlöcherung der Wertsicherung. Bis heute gab es vier Pakete mit dem unsäglichen Namen „Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz“. Meistens bedeuteten sie, dass vorgesehene Indexierungen reduziert, verschoben oder ganz vergessen wurden. Spätestens seit 2023 ist die Wertsicherung im Grunde aufgekündigt. Nicht einmal die Richtwerterhöhung um 2,9 Prozent, die 2025 vorgesehen gewesen wäre, gewährte man den Vermietern noch. Die Zukunft heißt Mietpreisbremse: Der Nationalrat wird wohl noch in diesem Jahr beschließen, dass die Mieten 2026 um ein Prozent und 2027 um zwei Prozent angehoben werden dürfen; danach gilt drei Prozent plus halbe Restinflation. Auch im freien Markt.
Nun klingt das natürlich erst einmal harmlos. Wann war die Inflation – von 2022/23 einmal abgesehen – schon höher als drei Prozent? Wäre die Mietpreisbremse im freien Markt schon im Jahr 1990 eingeführt worden, dann wäre sie bis heute nur sieben Mal zum Einsatz gekommen. Wer seit 1990 in derselben Wohnung wohnt, würde mit dieser fiktiven Mietpreisbremse heute nur sechs Prozent weniger zahlen als ohne. Das klingt verschmerzbar für die Vermieter. Doch das Problem ist ein anderes: Wer heute ein Zinshaus errichtet und vermietet, kann nicht nur nicht wissen, ob in den nächsten 30 Jahren eine Inflationskrise kommen wird; er weiß auch nicht, wann. Abbildung 3 stellt dazu ein Gedankenexperiment dar: Wenn die Inflationskrise von 2022/23 schon 1995/96 stattgefunden hätte – wir vertauschen also gedanklich die Inflationsraten dieser Jahre –, dann kommt zwar am Ende derselbe Wert heraus wie in der Realität. Aber einmal verliert der Vermieter erst am Ende des Investitionszeitraums Geld; im für ihn ungünstigeren Fall kassiert er die nicht voll kaufkraftbereinigte Miete aber jahrzehntelang. Und was wäre, wenn eine Inflationskrise in Zukunft noch deutlich höher ausfallen würde? Ein unkalkulierbares Risiko für einen potenziellen Investor.
Fußnoten
(Über) 100 Jahre Interventionsspirale im österreichischen Wohnungsmarkt
Die Mietpreisbremse für den freien Markt wird kommen. Und mit ihr eine ganze Reihe an unbeabsichtigten Nebenwirkungen. In Österreich haben wir über 100 Jahre Erfahrung mit Mietpreiseingriffen. Nur gelernt haben wir nichts daraus.
Warum Österreichs Schüler so wenig über Wirtschaft wissen. Und warum das nicht gut ist.
Was ist ein Markt? Wie bilden sich Preise? Was ist der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn? Viele Österreicher wissen das nicht; die Welt der Ökonomie ist ihnen ein Rätsel und deshalb oft auch unheimlich. Ein Schulfach Wirtschaft würde diese Defizite schon bei den Jüngsten beheben – und eine Menge Irrtümer aus der Welt schaffen.
Eine ökonomische Anleitung zum radikalen Förderstopp
Das Geld ist knapp. Das österreichische Doppelbudget 2025/26 pfeift aus dem letzten Loch. Streichen wir doch einfach ein paar Förderungen, meinen nun manche. Doch leichter gesagt als getan. Am Ende traut sich ja doch wieder keiner, den Rotstift anzusetzen. Die Agenda Austria schreitet mutig voran. Und streicht. Alles.
Über Gemeindefinanzen und Prioritäten.
Österreichs Gemeinden kommen mit ihrem Geld nicht mehr aus. Mal wieder. Eine Überraschung ist das nicht. Denn der österreichische Föderalismus ist eine Fehlkonstruktion.
Die österreichischen Löhne eilen davon. Aus der Rezession kommen wir aber nur heraus, wenn auch die Privathaushalte anfangen, sich an den Kosten der Misere zu beteiligen. Hoffentlich ist es dafür nicht schon zu spät.
Die Budgetrede, die das Land braucht – die Finanzminister Markus Marterbauer aber so nie halten wird.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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