Wie Österreich seit 1917 seinen Wohnungsmarkt systematisch ruiniert

(Über) 100 Jahre Interventionsspirale im österreichischen Wohnungsmarkt

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Die österreichische Geschichte der Mietregulierung 

Und da wären wir. Wien im Jahre 1917. Seit drei Jahren wütet der Erste Weltkrieg. Die Stadt ist zugleich Kaserne, Lazarett, Rüstungsmotor und Aufnahmestätte für Hunderttausende Flüchtlinge aus allen Teilen der Monarchie. Wien ist so voll wie nie zuvor oder danach. Die Wohnungsnachfrage ist hoch, das Angebot knapp. In dieser Situation haben die Vermieter leichtes Spiel. Gesetzliche Regeln gibt es bis auf ein paar Paragrafen im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nicht. 

Die Obrigkeit schreitet ein.[1] Am 26. Jänner 1917 wird die „Kaiserliche Verordnung über den Schutz der Mieter“ erlassen. Sie verbietet die „nicht gerechtfertigte Erhöhung des Mietzinses“. Angehoben werden darf eine Miete nach den Buchstaben der Verordnung nur, wenn die Erhaltungs- und Verwaltungskosten, Steuern und Abgaben oder die Kreditzinsen seit Kriegsbeginn gestiegen sind. Zum ersten Mal macht der Staat den Vermietern also echte Vorschriften, wie viel sie von ihren Mietern verlangen dürfen. Befristet ist die Verordnung bis Ende 1918. Sie enthält sogar ein Merkmal moderner Gesetzgebung, das wir heute als sunset clause bezeichnen würden. Im Beamtendeutsch der damaligen Zeit fordert nämlich Artikel I (2), dass die Mieterschutzverordnung ungesäumt außer Wirksamkeit zu setzen sei, wenn die außergewöhnlichen Verhältnisse entfallen, die zu ihrer Einführung Anlass gegeben haben. Doch wie jedes gute österreichische Provisorium sollte die Verordnung zweimal verschärft und verlängert werden. Am Ende gilt sie dann unbefristet. 

Die Vermieter wissen natürlich auf die Mieterschutzverordnungen zu reagieren. Sie verlangen nun zum Beispiel Ablösen für die Vermittlung von Mietwohnungen – auch Möbelablösen sind damals schon ein Thema – oder sie setzen Strohmänner als Hauptmieter ein, weil Untermieter zunächst von der Verordnung ausgenommen sind.[2] Und auch der Markt reagiert wie erwartet: Bei großen Wohnungen, die zunächst ebenfalls ausgenommen sind, steigen die Mieten jetzt umso schneller.[3] Die zweite Mieterschutzregulierung schließt dann die Lücken bei Untermietern und großen Wohnungen. 

Spätestens mit dem Ende des Krieges kommt die Hyperinflation. Das bisschen Teuerung, über das wir heute jammern, ist nichts im Vergleich zu dem, was die Zeitgenossen der frühen 1920er-Jahre erleben. Dass sich die Preise von einem Jahr zum anderen verdoppeln, ist keine Ausnahme – im Jahr 1922 klettert die Inflationsrate sogar auf fast dreitausend Prozent.[4] Da die Mieten noch nicht direkt mit der Inflation indexiert sind, ist das Vermieten von Wohnungen inzwischen mehr Hobby als Geschäft. Die Sozialdemokraten fanden das damals nur fair: Die Mieteinnahmen seien zwar quasi wertlos geworden, doch wer vor dem Krieg ein Haus auf Kredit gekauft habe, dem hätte die Inflation ja auch kräftig bei der Rückzahlung geholfen.[5] Und – ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Die inzwischen völlig zum Erliegen gekommene private Bautätigkeit rechtfertigt den in Wien nun raumgreifenden kommunalen Wohnungsbau. 

Das Mietengesetz von 1922 soll das Ganze auf neue Füße stellen. Es ist die Geburtsstunde des sagenumwobenen „Friedenszinses“. Die Berechnung gerät ziemlich kompliziert. Kurz gesagt werden die Mieten unter Berücksichtigung der Inflation seit 1914 an das Niveau von vor dem Krieg gekoppelt. Dabei klingt für heutige Ohren fast unglaublich, was sich die Väter des Mietengesetzes bei ihren Berechnungen gedacht haben: Im Friedenszins ist eine Jahresrendite von fünf Prozent einkalkuliert. Davon können heutige Vermieter in Wien nur träumen.[6] Doch es handelt sich um eine Mogelpackung. Wegen der weiterhin hohen Inflation der 1920er-Jahre ist an eine reale Rendite bald gar nicht mehr zu denken. Das ist wohl ganz im Sinne der Erfinder, da die Hausherren nicht bessergestellt werden sollen als jene, die auf inzwischen wertlosen Kriegsanleihen sitzen.[7]

Gebaut oder in den Bestand investiert wird unter diesen Umständen natürlich kaum noch. Der Wohnungsmangel wird immer deutlicher spürbar. Das Wohnungsanforderungsgesetz von 1922 ist der hilflose Versuch, leer stehenden oder kaum genutzten Wohnraum (zum Beispiel auch Zweitwohnungen) quasi zu requirieren und zwangszuvermieten. Da das (natürlich) nicht ausreicht, ist man schließlich gezwungen, die Daumenschrauben wieder etwas zu lösen. Es kommen drei Mietengesetznovellen:[8] Im Jahr 1925 werden die zu einem Stichtag leer stehenden Wohnungen vom Friedenszins ausgenommen, um sie in den Markt zurückzubringen; das ist gewissermaßen das Zuckerbrot zur Peitsche des Wohnungsanforderungsgesetzes. Im Jahr 1929 werden diverse Zuschläge erlaubt, auch um regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen; ab 1933 darf die Miethöhe bei raschen Wiedervermietungen (innerhalb von vier Monaten) frei vereinbart werden. 

Schon wenige Jahre nach der ersten großen Regulierung des Mietmarkts dreht sich die Interventionsspirale also munter. Auf jeden noch so gut gemeinten Eingriff zum Wohle der Mieter folgt eine Nebenwirkung, die dann entweder gleich das nächste Gesetz erfordert oder ein Zurückdrehen der Regulierung erzwingt. Am Ende ist das Einzige, was wirklich helfen würde – nämlich Neubau –, nicht erfolgt. Zwar schießen ab Mitte der 1920er-Jahre die Gemeindebauten des Roten Wien aus dem Boden, doch die statistischen Jahrbücher aus dieser Zeit zeigen, dass die Wohnbautätigkeit erst in den 1960er-Jahren wieder an das Niveau anknüpfen wird, das kurz nach der Jahrhundertwende üblich war.[9] Nun ist daran nicht allein die Mietregulierung schuld – politische Irrfahrten und zwei verlorene Weltkriege tragen das Ihre dazu bei –, aber gerade hilfreich ist sie natürlich auch nicht.  

Dafür sind aber bereits in den 1920er-Jahren massive Marktverzerrungen spürbar: Der spätere Ökonomienobelpreisträger Friedrich Hayek schaltet sich 1928 in die Diskussion ein und prangert die verteilungspolitischen Wirkungen an. Er schreibt: „Der ständig wachsende Teil der Bevölkerung, der nicht noch über eine geschützte Wohnung verfügt oder keine solche ererbt hat, ist daher schlechter gestellt, als dies ohne Mieterschutz der Fall wäre.“[10] Ökonomen nennen das heute „Insider-Outsider-Problem“: Wenn die Insider – also alle, die schon eine Wohnung haben – bessergestellt werden sollen, dann wird das Leben für die Outsider – also alle, die noch eine Wohnung suchen – oft noch schwerer. 


Fußnoten

  1. Das Standardwerk zu den Anfängen des österreichischen Mieterschutzes ist Stampfer (1995).
  2. Girkinger (2020), S. 19.
  3. Böhmdorfer (2016), S. 9.
  4. Beer et al. (2016), S. 14.
  5. Böhmdorfer (2016), S. 22–23.
  6. https://www.agenda-austria.at/grafiken/verdienen-sich-vermieter-eine-goldene-nase/
  7. Böhmdorfer (2016), S. 28.
  8. Böhmdorfer (2016), ab S. 34.
  9. https://www.wien.gv.at/statistik/statistisches-jahrbuch
  10. Hayek (1928), S. 188.
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