Was stimmt also nicht in den Büchern der Gemeinden? Der Forderungskatalog, den sie kürzlich zur Befreiung aus ihrer misslichen Lage vorgebracht haben,[1] lässt jedenfalls vermuten, dass sie sich in einem Einnahmenproblem wähnen: Sie wollen grundsätzlich mehr Geld aus dem Finanzausgleich, auflagenfreie Soforthilfen, mehr Steuern sollen als gemeinschaftliche Bundesabgaben definiert werden und so weiter. Der Wortstamm „spar“ kommt nur viermal vor: Zweimal als Wortbestandteil von Transparenz und zweimal im Zusammenhang mit Flächenverbrauch. Aber Geld sparen? Im Sinne von nicht ausgeben? Fehlanzeige.
Das ist nur ehrlich, denn gespart wird auch nicht. Und auf den ersten Blick wäre das auch gar nicht nötig. Die Gemeindeeinnahmen sind nämlich seit dem letzten Vorkrisenjahr 2019 um 31 Prozent gestiegen. Über die Inflation zu jammern, gilt nicht. Natürlich ist auch für die Gemeinden alles teurer geworden, doch die Inflation lag im selben Zeitraum bei nicht einmal 26 Prozent. Und außerdem naschen die Gemeinden über ihre Ertragsanteile aus den gemeinschaftlichen Bundesabgaben (vor allem Lohn- und Umsatzsteuer) ohnehin direkt an der Inflation mit. Sie beklagen zwar die Abschaffung der kalten Progression, da die Lohnsteuereinnahmen des Bundes nicht in dem Ausmaß stiegen, in dem es der Fall gewesen wäre, wenn die Arbeitnehmer mit ihrem Inflationsausgleich in immer höhere Steuerstufen gerutscht wären. Doch erstens bekommen sie zum Beispiel über den Zukunftsfonds mehr Geld. Und zweitens wurden die Mehreinnahmen aus der kalten Progression auch bis zu deren Abschaffung in schöner Regelmäßigkeit in „größten Steuerreformen aller Zeiten“ eingebremst. In jedem Fall sind die Einnahmen der Gemeinden heute selbst preisbereinigt höher als je zuvor.
Doch leider gilt das auch für die Ausgaben. Sie sind seit 2019 sogar um 39 Prozent gestiegen. So sehr die Einnahmen auch galoppieren – die Ausgaben galoppieren schneller. Das Geld rinnt den Gemeinden nur so durch die Finger. Seit der Finanzkrise war die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben nie so groß wie derzeit (vgl. Abbildung 3). Durch die Inflation per se ist das nicht erklärbar.
Doch wodurch ist es dann erklärbar? Durch die Zinslast? In der Tat haben sich die Kosten für den Schuldendienst seit 2021 verachtfacht (!), weil sowohl Zinsen als auch Schuldenstände stark angestiegen sind. Eine Rekordsumme von fast 370 Millionen Euro schoben die Gemeinden 2024 ihren Gläubigern in den Rachen, statt das Geld für Schwimmbäder und Kindergärten auszugeben. Dabei wurden sie schon vor Jahren gewarnt, dass die Zeit des billigen Geldes auch wieder enden könnte.[2] Sie hätten sie lieber nutzen sollen, um sich so weit zu sanieren, dass sie in einem normalen Zinsumfeld bestehen können. Auch wir haben die öffentliche Hand immer wieder ermutigt, auf die künftigen „Sünden der Vergangenheit“ zu verzichten.[3]
Doch obwohl die Zinsausgaben zu den am stärksten gestiegenen Ausgabenposten gehören, liegt das Problem ganz woanders: bei den Personalkosten. Die Lohnsumme der Gemeinden steigt seit vielen Jahren deutlich stärker, als es durch eine reine Inflationsabgeltung erklärbar wäre (vgl. Abbildung 4). Dass der Bund in letzter Zeit bei den Beamtengehältern auf dem Gaspedal steht, hat auch den Gemeindebudgets nicht gerade geholfen. Aber der Hauptgrund für die seit Jahren steigende Lohnsumme ist Personalaufbau.
Die Gemeinden haben über die Jahre hinweg kräftig eingestellt (vgl. Abbildung 5). Seit 2008 sind fast 22.000 Vollzeitäquivalente hinzugekommen – ein Anstieg um fast ein Fünftel. Vor allem im Wiener Rathaus scheint die Arbeit kein Ende zu nehmen. Während die gewerbliche Wirtschaft also landauf, landab über Arbeitskräftemangel klagt und sogar der Bund es geschafft hat, den Personalbestand einigermaßen stabil zu halten,[4] haben die Gemeinden eingestellt, was das Zeug hält. Wozu? Haben sie denn heute mehr Aufgaben zu erfüllen als vor 15 Jahren?
So argumentieren sie jedenfalls selbst und das zum Teil auch aus gutem Grund. Dazu gehört zum Beispiel die flächendeckende Kinderbetreuung, die die Gemeinden „mehr oder weniger ab der Geburt“ anbieten sollen, wie Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl jüngst spöttisch feststellte.[5] Im Vergleich zu 2008 haben österreichische Kindergärten und Volksschulen fast 11.000 Beschäftigte mehr; etwa die Hälfte davon nur in Wien. Auch der demografische Wandel trägt zum Jobwunder in den Gemeinden bei. Immer mehr Ältere brauchen Pflege und ärztliche Betreuung. Doch das ist vielfach eigentlich keine Aufgabe der Gemeinden im engeren Sinne. Sie betreiben zum Beispiel nur wenige eigene Krankenanstalten. Von den knapp 60.000 Krankenhausbetten in Österreich stehen nur etwas mehr als 2.000 in der Trägerschaft von Gemeinden oder Gemeindeverbänden.[6] Freilich werden sie zur Finanzierung der Landeskrankenanstalten zur Kasse gebeten (dazu später noch mehr). Auch der Pflegebereich ist in vielen Bundesländern traditionell eine Landesaufgabe; auch wenn Gemeinden natürlich eigene Alten- und Pflegeheime betreiben. Und dann kommen noch Informationsfreiheitsgesetz, Digitalisierungstrend und die überbordende Bürokratie hinzu, die allesamt personelle Ressourcen benötigen. Durch die brennenden Ringe der österreichischen Förderlandschaft zu springen, ist eben auch in den Gemeinden eine Herkulesaufgabe. Dass auch die öffentliche Hand in der Bürokratie erstickt, ist ein oft vergessenes Phänomen.
Und so summieren sich die steigenden Lohnsummen der Gemeinden immer weiter. Was soll schon schiefgehen?
Fußnoten
Über Gemeindefinanzen und Prioritäten.
Österreichs Gemeinden kommen mit ihrem Geld nicht mehr aus. Mal wieder. Eine Überraschung ist das nicht. Denn der österreichische Föderalismus ist eine Fehlkonstruktion.
Die österreichischen Löhne eilen davon. Aus der Rezession kommen wir aber nur heraus, wenn auch die Privathaushalte anfangen, sich an den Kosten der Misere zu beteiligen. Hoffentlich ist es dafür nicht schon zu spät.
Die Budgetrede, die das Land braucht – die Finanzminister Markus Marterbauer aber so nie halten wird.
Jeder weiß: Auf einem Bein zu stehen, ist auf Dauer eine ziemlich wackelige Angelegenheit. Doch dem österreichischen Pensionssystem muten wir genau das zu. Es steht fast ausschließlich auf einem Bein: dem staatlichen Umlageverfahren. Zwar setzen viele Länder in Europa auf solche Systeme, doch kaum eines verlässt sich derart blind darauf wie Ö
Im dritten Anlauf hat es nun also geklappt. Fünf Monate nach der 28. Nationalratswahl steht das erste Dreierbündnis im Bund. Wir wollen einen Blick hinter die Kulissen – oder genauer gesagt in das Regierungsprogramm – werfen. Hat sich das geduldige Warten gelohnt? Was ist aus den Wahlversprechen der Parteien geworden? Ist die neue Koalition b
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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