Warum die Lehre in der Krise ist – und wie das zu ändern wäre
- 29.09.2016
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Eine liberalisierte Gewerbeordnung wird laut Wirtschaftskammer zu weniger Lehrlingen führen. Dabei sinkt deren Zahl schon länger. Die Lehre sollte attraktiver werden: Etwa, indem jeder Geselle mit einem Jahr Berufspraxis zum Unternehmer werden kann.
Rund um die geplante Reform der Gewerbeordnung ist eine heftige Diskussion entbrannt. Die Wirtschaftskammer tritt vehement gegen den Vorschlag der Agenda Austria auf, nur mehr jene Gewerbe streng zu reglementieren, deren Ausübung Mensch, Tier oder Umwelt gefährdet (siehe “Warum die Gewerbeordnung ein übler Geselle ist”). Im Zuge dessen argumentiert die Kammer, eine weitgehende Liberalisierung der Gewerbeordnung führe dazu, dass die Zahl der Lehrlinge beträchtlich sinken werde. So wie das in Deutschland nach der Reform der deutschen Handwerksordnung 2004 gewesen sei.
Nun ist die Lehre eine Ausbildungsmöglichkeit, um die viele Länder, wo sie so nicht existiert, Österreich zu Recht beneiden. Das Lehrlingswesen hat schöne Traditionen hervorgebracht und ist nach wie vor für viele junge Menschen der Weg zum Erfolg. Grund genug für die Agenda Austria, näher hinzusehen, ob das Argument der Wirtschaftskammer zutrifft.
Immer weniger Lehrlinge
In unserem Policy Brief “Warum die duale Ausbildung in Österreich ein Problem hat – und wie es zu lösen wäre” zeigen wir, dass dem nicht so ist. Die Zahl der Lehrlinge ist rückläufig – in Deutschland und auch in Österreich, mit und ohne Reform der Gewerbeordnung. “Dass die duale Ausbildung weniger wichtig geworden ist, hat in beiden Ländern ganz eindeutig andere Gründe”, sagt die Agenda Austria-Ökonomin Monika Köppl-Turyna. Die Lehrlingszahl hängt zunächst schon einmal von der Bevölkerungsentwicklung ab, wie diese Grafik zeigt:
Es gibt also tendenziell immer weniger Jugendliche, die eine Lehrstelle antreten könnten. Dazu kommt, dass wegen der nicht eben rosigen Wirtschaftslage die Zahl der Lehrbetriebe abgenommen hat. “Auch klaffen Angebot und Nachfrage an Lehrstellen auseinander: Jugendliche suchen in den ´falschen´ Branchen, die freien Lehrstellen sind weit von ihrem Wohnort entfernt oder sie bringen keine ausreichenden Kenntnisse mit”, analysiert Hanno Lorenz, Mitautor des Policy Briefs.
Die Agenda Austria hat auch untersucht, ob die Reform der deutschen Handwerksordnung zu einem zusätzlichen Rückgang der Lehrlingszahl geführt hat. Quantitative Analysen zeigen aber eindeutig: Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Reform und der Zahl der Lehrlinge.
Maßnahmen zur Rettung der Lehre
Statt eine Gewerbeordnung zu verteidigen, die vorhandene Privilegien unter dem Deckmantel des Konsumentenschutzes oder des angeblich drohenden Schadens für die Lehre rechtfertigt, plädiert die Agenda Austria etwa für folgende Maßnahmen:
- Eine abgeschlossene Lehre mit einem Jahr Berufserfahrung in derselben oder einer verwandten Branche sollten jedem die Berechtigung geben, sich selbständig zu machen.
- Branchen mit vielen offenen Lehrstellen sollten höhere Lehrlingsentschädigungen bzw. Kollektivvertragslöhne anbieten. In der Gastronomie etwa wären höhere Löhne möglich, ohne dass Jobs verloren gehen würden, wie die Agenda Austria im Paper “Mindestlöhne: Gibt es Spielraum nach oben?” nachgewiesen hat.
- Mehr Anreize für innerösterreichische Mobilität: Lehrstellensuchenden ermöglichen, dort hinzugehen, wo die Lehrstellen sind.
- Ein standardisierter Schulabschluss: Nur wer bestimmte Grundkenntnisse nachweisen kann, hat seine Schulpflicht absolviert – damit die Anforderungen an die Jugendlichen und deren Kenntnisse zusammenpassen.
- Gezieltere Information über Lehrberufe und deren Möglichkeiten, um das Image einiger Berufe zu verbessern.
Das Lehrlingswesen hat sich trotz enormer wirtschaftlicher Umbrüche über die Jahrhunderte gehalten, auch, weil immer wieder notwendige Anpassungen vorgenommen wurden. Eine liberalere Gewerbeordnung wird es nicht gefährden.
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