Fortsetzung der Bildungspolitik-Show
- 21.07.2016
- Lesezeit ca. 4 min
Die Ankündigung der Bildungsministerin Sonja Hammerschmid, massiv in Ganztagsschulen zu investieren, klingt als Schlagzeile gut. Es fehlt jedoch an konkreten Hinweisen darauf, welcher Schultyp zum Zug kommen soll. Die Wurstelei droht weiterzugehen.
Die Versuchung war für die neue Bildungsministerin wohl zu groß: Zum Beginn der Sommerferien noch eine Erfolgsmeldung wie “750 Millionen für die Bildung” verkünden zu können – wer könnte dem schon widerstehen? Sonja Hammerschmied konnte es nicht, und so geht die Wurstelei der letzten Jahre im Bildungsbereich vorerst einmal weiter. Anstatt sich mit Experten über dringende Reformmaßnahmen zu beraten, mit dem Finanzminister die benötigte Geldsumme zu verhandeln, mit dem Koalitionspartner Ziele, Umsetzungsmaßnahmen und einen konkreten Zeitplan abzustimmen und dann an die Öffentlichkeit zu gehen, wird die nächste “große Reform” in derselben fahrlässigen Weise begonnen, wie dies bereits in den letzten Jahren der Fall war.
750 Millionen Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen, bis 2025 sollen 40 Prozent aller Schulen Ganztagsbetrieb anbieten, im Umkreis von 20 km soll eine solche erreichbar sein. Verkündet wird keine Bildungsreform, sondern eine große Überschrift, eine Schlagzeile, hinter der so gut wie alles unklar ist.
Verschiedene Modelle der “Ganztagsschule”
Selbst das Ziel ist in Wahrheit unklar: Dass der Begriff “Ganztagsschule” verschiedene Modelle umfasst, die entlang ideologischer Streitpunkte sortiert sind, hat sich an den ersten Reaktionen der ÖVP bereits gezeigt. Das Modell der verschränkten Ganztagsschule (Unterricht, Lern- und Freizeitphasen sind auf den ganzen Tag verteilt) umfasst eine völlige Umgestaltung des Unterrichts, eine Neuorganisation der schulischen Ressourcen inklusive der Lehreranwesenheit und eine unbedingte Verbindlichkeit für alle Schüler.
Das Modell der Ganztagsschule als Betreuungsangebot für den Nachmittag ist dagegen vergleichsweise anspruchslos, erfordert lediglich den Ausbau der Räumlichkeiten und die Finanzierung pädagogisch basisqualifizierter Nachmittagsbetreuung. Der leichteren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kinderbetreuung dienen beide Modelle. Aber nur das Modell der verschränkten Ganztagsschule bietet eine substanzielle Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder aus bildungsfernen Familien. Nur Letztere setzt dort an, wo in Österreich die größten Defizite im Schulbereich liegen: im Ausgleich von Lern- und Sprachhandicaps von Kindern aus bildungsfernen und/oder migrantischen Familien.
Der Ausbau verschränkter Ganztagsschulen im Grundschulbereich und in den großen Städten wäre ein attraktives und wichtiges bildungspolitisches Ziel. Aber das sollte dann auch als solches genannt und direkt angestrebt werden.
Finanzierung ist unklar
Die Finanzierung ist in Wahrheit unklar: 750 Millionen Euro klingt nach sehr viel Geld. Aber bereits die Koppelung mit der genannten Zeitspanne – 40 Prozent Ganztagsschulen bis 2025 – zeigt den Showcharakter dieser Ankündigung: 75 Millionen pro Jahr bei einem Schulbudget von knapp acht Milliarden Euro sind kein Heuler. Und nachdem bislang keinerlei Vereinbarung bekannt wurde, für welche Schultypen dieses Geld denn aufgewendet werden soll, ist die Vergabe der Mittel völlig offen: Geht es um Pflichtschulen (Volksschulen, Neue Mittelschulen), müssten die Gelder über die Länder und Gemeinden verteilt werden, sind auch AHS und BHS im Visier, kann der Bund das Geld direkt investieren. Soll damit das Schulbudget generell aufgestockt werden, soll das zusätzliche Budget wieder einmal nach dem Gießkannenprinzip auf alle Länder gleichmäßig verteilt werden, oder sollen doch Schwerpunkte gesetzt werden: Und wenn ja, welche?
Auch die Umsetzung ist in Wahrheit völlig ungeklärt: Sollen mit den Zusatzmitteln vorrangig einmalige Investitionen in schulische Infrastruktur getätigt werden, sollen zusätzliche Lehrer oder doch vor allem neues Unterstützungspersonal für die Ganztagsbetreuung angestellt werden. Wie sieht die Entscheidungsfindung konkret aus, wenn Schüler, Eltern und Lehrer mit jeweils Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen?
Ankündigungspolitik statt Sachpolitik
Anstelle eines neuen politischen Stils wurde ein weiteres Mal bloßer Ankündigungspolitik Vorrang vor sachlicher, strategischer Bildungspolitik gegeben. Einer Ankündigungspolitik, dem nichts anderes als ein Wettlauf zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und Lehrervertretern um die Verteilung der Mittel folgen wird. Dass damit die beste Lösung erreicht werden kann, ist so gut wie ausgeschlossen.
Darüber hinaus wird der aktuelle Problemstand in der Schulpolitik weitgehend ignoriert: Denn alle Experten sind sich einig, dass der größte Defizitbereich derzeit die frühkindliche Bildung und vorschulische Erziehung darstellt. Und dass die Maßnahmen im aktuellen Schulpaket für diesen Bereich völlig unzureichend sind. Aber statt den überraschenden Geldsegen zur Aufwertung dieses wichtigen Feldes zu nutzen und die im Schulpaket beschlossenen Alibihandlungen zu echten Reformen aufzuwerten, wird nun wieder eine andere Baustelle eröffnet. Ohne klares Ziel und konkreten Plan für die Vorgangsweise, ohne Vorabstimmung mit dem Koalitionspartner und den Ländern. Die Wurstelei im Bildungsbereich wird fortgesetzt.
Gastkommentar von Wolfgang Feller, „Der Standard“, 20.07.2016
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