Konjunktur & Wachstum

Der Wohlstand, den wir schaffen, ist eine Fiktion

FORMAT-Interview. Franz Schellhorn, Leiter der "Agenda Austria" und Mann für unbequeme Wahrheiten, fordert von einer zukünftigen Regierung vor allem Ideen und Mut zu unpopulären Entscheidungen: "Sonst verlieren wir unseren Platz am üppig gedeckten Tisch."

Mit seinem trend-Essay “Österreichs schmutziges Geheimnis” traf Franz Schellhorn den Nerv der Leserschaft punktgenau und schaffte es mit über 5.400 Likes und 65.000 Seitenaufrufen zur “most liked Story 2013” auf format.at. Grund genug, den Leiter der Denkfabrik “Agenda Austria” über den Reformbedarf in Österreich zu befragen.

[Das nachfolgende Interview erschien am 16.Oktober.2013 im Format: hier klicken]

FORMATMit großem Theaterdonner haben gerade die Regierungsverhandlungen begonnen. Was braucht Österreich denn jetzt?

Franz Schellhorn: Österreich braucht vor allem eine Regierung, die auch etwas will, die eine Idee von der Zukunft hat und nicht nur mit eingefrorener Hand den Stillstand bewahrt. Eine Regierung, die sich die Frage stellt: Weshalb sollen Delegationen aus anderen Ländern in fünf Jahren nach Österreich kommen, um etwas zu sehen, das tatsächlich bemerkenswert ist.

Was könnte das sein?

Schellhorn: Zum Beispiel eine wirkliche Pensionsreform, bei der das Pensionsantrittsalter tatsächlich angehoben wird und man den Leuten auch sagt, dass die Pension nicht dafür da ist, den bisherigen Lebensstandard zu halten, sondern als Absicherung gegen Not gedacht war.

Das ist nicht sehr populär…

Schellhorn: … aber notwendig, weil das staatliche Umlageverfahren de facto pleite ist und nur durch stark steigende Zuschüsse aus dem Budget solvent gehalten wird. Der budgetäre Druck ist groß, das System wird in der bisherigen Form nicht mehr lange funktionieren. Deshalb muss auch die Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Kommunen angegangen werden. Wenn es einen echten Wettbewerbs-Föderalismus gäbe wie in der Schweiz und nicht den österreichischen Umverteilungszirkus, wären viele Probleme gelöst. Wenn jeder Bürgermeister sagen müsste, wir planen eine bestimmte Investition und die finanzieren wir über eine Erhöhung eurer Einkommensteuer, liebe Gemeindebürger, dann könnte diese Bürger sagen, das ist ok – oder auch ablehnen. Eine direkte Ausgabenverantwortung der Länder und Gemeinden wäre das Lösen des gordischen Knotens. Aber das will niemand, weil das jetzige System bequemer ist.

Macht es Sinn, wenn der Bürgermeister von Zwettl einen Betrieb aus Krems mit einer um zwei Prozentpunkte niedrigeren Gewerbesteuer weglockt?

Schellhorn: Das macht sehr viel Sinn, wie die Schweiz zeigt. Für strukturschwache Regionen ist das die einzige Chance. Wenn eine Gemeinde um jeden Steuerzahler – Betrieb oder Privatperson – werben muss, werden die Bürger endlich wie Kunden behandelt und die Verwaltung wird von sich aus effizienter. Vom Wettbewerb zwischen Spar und Billa profitiert der Konsument ja auch.

Ein Steuerwettbewerb führt zu generell niedrigeren Tarifen. Wie können die Kommunen mit weniger Einnahmen ihren Aufgaben nachkommen?

Schellhorn: Indem die Gemeinden beispielsweise darüber nachdenken, ob sie wirklich einen eigenen Bauhof brauchen oder ob nicht drei Gemeinden einen gemeinsamen Bauhof betreiben können. Jetzt spart man bei den Bürgern, indem man deren Steuern und Abgaben regelmäßig erhöht. Aber das ist ausgereizt und hat die Grenze einer anständigen Zivilisation überschritten. Und wenn die Verantwortlichen dafür keine Lösungen entwickeln, dann kann man gleich einen Beamten an ihre Stelle setzen. Der braucht auch keine Ideen, sondern erhöht einfach jedes Jahr die Steuern im Ausmaß der Ausgaben. So funktioniert es ja seit Jahrzehnten, übrigens auch auf Bundesebene.

Sie kritisieren die ständig steigenden Staatsausgaben, aber nehmen nicht auch die Aufgaben des Staates zu? Mit der Lebenserwartung der Menschen steigen zwangsläufig auch Pensionsaufwendungen und Gesundheitsausgaben. Ist der Staat wirklich gierig oder werden die nur die Aufgaben mehr?

Schellhorn: Beides. Das Grundübel ist, dass sich der Staat selber immer neue Aufgaben sucht. Von den 183 Nationalratsabgeordneten kamen vor der Wahl rund 140 über Landeslisten ins Parlament. Diese föderalen Abgeordneten schauen schon, dass die Länder Aufgaben bekommen, auch, um sich selber zu rechtfertigen. Hinzu kommt eine weitere Besonderheit: Mit den Einnahmen des Staates wachsen automatisch auch die Ausgaben mit. Beispiel Bankenabgabe: Ein Drittel geht über den Finanzausgleich direkt an Länder und Gemeinden, obwohl die mit dieser Abgabe absolut nichts zu tun haben. Dieses Geld sucht und findet Verwendung.

Profitiert von diesen Ausgaben aber nicht auch der Bürger: Die Pensionen kommen pünktlich und die Bürgersteige sind sauber. Warum also die Aufregung?

Schellhorn: Das Problem ist, das dieses System sich nicht selber trägt, sondern mit Krediten finanziert wird – also auf Kosten der jetzigen und vor allem der zukünftigen Steuerzahler. Wir verjausnen jetzt den Wohlstand der nächsten Generation.

Sie betonen immer wieder den zu großen Einfluss des Staates. Welche Rolle soll der Staat ihrer Meinung nach spielen?

Schellhorn: Eine ehrliche und bescheidene. Und nicht die Rolle, die er jetzt spielt: Täglich den Bürgern über neue Gesetze und Verordnungen zu zeigen, wie sie zu leben haben. Der Staat ist wichtig, es braucht eine ordnende Hand, aber keine dominante. Nehmen Sie die Wirtschaft: Den Begriff “Privatwirtschaft” gibt es in anderen Ländern gar nicht, da ist es klar, dass die Wirtschaft privat ist. Das wäre so, als würde man “Spaghettinudeln” sagen. Aber in Österreich muss man das betonen, weil hier der Staat der wichtigste Wirtschaftsbereich ist. Wir haben eine Staatswirtschaft, eine gelenkte Marktwirtschaft, und das mit mäßigem Erfolg. Eine Schiedsrichter-Funktion des Staates in der Wirtschaft ist in Ordnung, die braucht es. Aber wenn der Schiedsrichter gleichzeitig auch der Mittelstürmer einer Mannschaft ist, dann ist das eine ungute Konstellation. Da geht Wohlstand verloren.

Der Wohlstand in Österreich wächst aber…

Schellhorn: Der Wohlstand, den wir schaffen, ist eine Fiktion. Man erkauft über Kredit Wachstum, und der daraus resultierende Wohlstand wird dann verteilt. Solange die Zinsen so niedrig sind heißt es: Geht in den Keller und holt euch, was ihr braucht. Doch das wird sich ändern, sobald die Zinsen steigen.

Wo sollte sich der Staat denn zurückziehen?

Schellhorn: Zum Beispiel aus dem dritten Bereich, in dem dringender Handlungsbedarf herrscht: Der Bildung. Es ist hinreichend belegt, dass im staatlichen Bildungssystem von den 15-jährigen Schülern jeder vierte nicht sinnerfassend lesen kann. Und wir diskutieren seit 13 Jahren über ein neues Lehrerdienstrecht. Das ist ein eigenartiger Zugang. Mangels Erfolg sollte sich der Staat zurücknehmen.

Und dann?

Schellhorn: Der Staat hat hinlänglich bewiesen, dass er nicht der beste Lehrer ist. Es ist ihm wichtiger, dass die Lehrer frühzeitig zu Hause sind als dass die Schüler gut betreut werden. In Holland hat der Staat eine andere Rolle eingenommen: Er ist weiterhin Anbieter von Bildung, aber es gibt auch ein breites privates Angebot, es wurden also Alternativen zugelassen. Das Geld “geht” mit den Kindern mit, wie bei einem Bildungsscheck – Eltern und Kinder können sich die Schule aussuchen. Das Ergebnis ist, dass in einem sehr egalitären Land wie Holland 77 Prozent der Kinder eine Privatschule besuchen. Die Diskussion ob Gesamtschule oder nicht, ist da irrelevant. Viel wichtiger ist, dass sich ein Direktor seine Lehrer selber aussuchen kann. Wir werden ein paralleles Bildungssystem aufziehen müssen, sonst bekommt man die Kinder und Eltern nicht aus der Geiselhaft der Lehrergewerkschaft. Das heißt nicht, dass alle staatlichen Schulen schlecht sind. Die guten werden sich auch weiterhin bewähren, die schlechten würden Schüler verlieren, aber das ist ja gewollt.

Ist Wettbewerb grundsätzlich das bessere System?

Schellhorn: Ja.

Warum?

Schellhorn: Wettbewerb trennt immer die guten von den schlechten Ideen. Natürlich kann Wettbewerb auch negative Effekte haben, aber man lernt daraus, was funktioniert und was nicht. Der Wettbewerb zerstört nicht, er schafft Werte. Die Westbahn hat der ÖBB gut getan.

Warum ist diese Einstellung so unpopulär? Warum haben wir so große Sehnsucht nach Schutz, nach Sicherheit?

Schellhorn: Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Österreich hat eine angenehme Position. Wir sitzen am gut gedeckten Tisch, wo das beste Essen und der beste Wein serviert werden. Und wir glauben, dass wir auf diesem Sessel sitzen bleiben können, weil wir immer schon dort gesessen sind. Aber andere wollen auch dorthin. Wir sind allerdings überzeugt, dass sie kein Recht darauf haben und wir empfinden deren Ansinnen als unfair, weshalb wir beschützt werden wollen.

Es ist jetzt sehr viel von einem “neuen Stil” in der Koalition die Rede. Aber haben SPÖ und ÖVP von ihrer Struktur her überhaupt die Kraft, sich zu erneuern?

Schellhorn: Nein. Es braucht nämlich Politiker, die es nicht als Höchststrafe empfinden, fünf Jahre mal nicht zu regieren.

Kann man das ernsthaft erwarten?

Schellhorn: Ja, das muss man. Sonst braucht man keine Politiker, sondern einen dauerhaft pragmatisierten Beamten, der das Land verwaltet. Um nichts zu ändern, braucht man keine Regierung. Doch wenn sich nichts ändert, werden wir unseren Platz am gedeckten Tisch nicht dauerhaft sichern.

Wie viel missionarischen Eifer braucht man, um in Österreich die Vorzüge des Wettbewerbs zu predigen?

Schellhorn: Ich sehe mich nicht als Missionar. Man braucht eine gewisse Leidenschaft, die ich habe, weil ich an das Potential dieses Landes glaube. Und man braucht Optimismus, um in einem diskursfreien Land einen Diskurs anzuregen.

Zur Person
Franz Schellhorn, 44, längjähriger Ressortleiter Wirtschaft der Tageszeitung “Die Presse”, ist seit Februar dieses Jahres Leiter der Denkfabrik “Agenda Austria“. Dieser privat finanzierte Think Tank will die Diskussion über Themen wie Marktwirtschaft und Wettbewerb in Österreich forcieren.

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